
Weniger Stunden bei gleichem Gehalt – über die Vor- und Nachteile einer 4-Tage-Woche und anderer Variationen einer Arbeitszeitverkürzung wird viel diskutiert. Doch wie sieht es in der Praxis aus? In einigen Ländern wurden Pilotprojekte durchgeführt, die erstmals in größerem Umfang zeigen, wie sich eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung u.a. auf Gesundheit und Produktivität auswirken kann. Wir stellen euch die Studien aus Island, Großbritannien und Australien & Neuseeland vor.
Foto: unsplash / Kyle Glenn
Island (2014 – 2021)
Umsetzung:
- Von isländischer Regierung sowie der Stadtverwaltung von Reykjavík initiiert
- Begleitung und Befragung von etwa 2.500 teilnehmenden Arbeitnehmer:innen aus 66 Unternehmen von Büros über Kinderbetreuung bis Krankenhäuser
- Volle Bezahlung bei unterschiedlich reduzierter Arbeitszeit durch Kürzen oder Streichen von überflüssigen Meetings und Aufgaben
Ergebnisse:
- Überwiegend gleichbleibende oder verbesserte Produktivität, geringeres Stresslevel, bessere Work-Life-Balance
- Höhere Beteiligung von Männern an Care-Arbeit und Haushalt, jedoch weiterhin hoher Mental Load bei Frauen
Folgen:
- Schließung von neuen Verträgen zwischen Gewerkschaften, Unternehmensbündnissen, der Regierung und lokalen Gremien, die das Recht von Arbeitnehmer:innen darauf festhalten, reduzierte Stunden zu verhandeln
- Weiterhin sinkende durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit
Spannende Zahlen:
- 36,5 Wochenstunden arbeiteten Isländer:innen 2022 durchschnittlich, 2019 waren es etwa 3 Stunden mehr (Link zur Quelle)
- 86% der arbeitenden Bevölkerung gehen mit reduzierten Stunden ihrer Erwerbsarbeit nach oder haben ein vertraglich festgehaltenes Recht, diese zu verhandeln
Großbritannien (2022)
Umsetzung:
- Von Non-Profit-Organisationen und Forscher:innen initiiert
- Begleitung und Befragung von etwa 2.900 teilnehmenden Arbeitnehmer:innen aus 61 Unternehmen von Marketing über Non-Profit bis IT
- Volle Bezahlung bei unterschiedlich reduzierter Arbeitszeit durch individuelle Anpassung der Bedingungen an das Unternehmen, von 4-Tage-Woche über weniger Arbeitsstunden am Tag bis zu unterschiedlicher Anzahl an Wochenstunden pro Jahreszeit
- Unterstützung durch Workshops, Mentoring, Netzwerken
Ergebnisse:
- Überwiegend gleichbleibende oder verbesserte Produktivität, weniger Kündigungen und weniger Abwesenheit, geringeres Stresslevel, bessere Work-Life-Balance, weniger Schlafstörunge
- Höhere Beteiligung von Männern an Kinderbetreuung, jedoch nicht am Haushalt
Folgen:
- Weiterführung der 4-Tage-Woche bei 38 Unternehmen
- Direkte permanente Umsetzung der 4-Tage-Woche bei 18 Unternehmen
Spannende Zahlen:
- 65% weniger Krankschreibungen
- 27% mehr Zeit investierten Männer in die Kinderbetreuung, bei Frauen waren es 13%
- 68% berichteten von einer unveränderten Aufteilung der Haushaltsarbeit
Australien & Neuseeland (2022)
Umsetzung:
- Von Non-Profit-Organisation 4 Day Week Global und Forscher:innen initiiert
- Begleitung und Befragung von etwa 758 teilnehmenden Arbeitnehmer:innen aus 26 Unternehmen von Gesundheit über Immobilien bis Forschung
- Volle Bezahlung bei unterschiedlich reduzierter Arbeitszeit
- Unterstützung durch Workshops, Mentoring, Netzwerken
Ergebnisse:
- Weniger Krankschreibungen und Kündigungen, weniger Burnout- und Stress-Symptome
- Höhere Beteiligung von Männern an Haushalt und Kinderbetreuung
Folgen:
- Weiterführung der 4-Tage-Woche bei 95% der Unternehmen
- Gewerkschaften und einige politische Akteur:innen plädieren für 4-Tage-Woche, jedoch gibt es Gegenwind von großen politischen Parteien
Spannende Zahlen:
- 64% hatten weniger Burnout-Symptome
- 27% der Männer in heterosexuellen Beziehungen übernahmen mehr Aufgaben im Haushalt, im Vergleich zu 15% bei Frauen
- 17% der Männer in heterosexuellen Beziehungen übernahmen mehr Kinderbetreuung, im Vergleich zu 11% bei Frauen
Die vorläufigen Ergebnisse der Pilotprojekte zur Reduzierung der Arbeitszeit bei gleichem Gehalt zeigen: Während Unternehmen, Organisationen und Einrichtungen überwiegend nicht an Produktivität einbüßten, ließ sich bei einem Großteil der Arbeitnehmenden ein geringeres Stresslevel, eine verbesserte Work-Life-Balance sowie eine positive Veränderung in der Aufteilung von Haus- und Care-Arbeit in heterosexuellen Beziehungen feststellen.
Der Großteil der beteiligten Arbeitgeber:innen führt die Arbeitszeitverkürzung auch nach Ablauf der Pilotphase weiter, in Island wird das zusätzlich von der Regierung unterstützt. Dadurch liegt die Vermutung nahe, dass sich die Änderungen weder negativ auf die Produktivität der Mitarbeiten noch auf Erfolg und Umsatz auswirken. Die Pilotprojekte zeigen außerdem, dass Männer in heterosexuellen Beziehungen bei reduzierter Arbeitszeit mehr Care-Arbeit übernehmen. Dies schafft die Grundlage dafür, dass Frauen ihre Stunden in Erwerbsarbeit erhöhen können. Dass Vollzeitkräfte weniger und Teilzeitkräfte mehr arbeiten, wäre auch im Einklang mit der Fachkräftesicherung – und ist notwendig, um den Gender Pay Gap Geschichte werden zu lassen.
Die langfristigen Auswirkungen der Pilotprojekte sind noch nicht wissenschaftlich belegt. Zum einen sind die Ergebnisse nicht repräsentativ und lassen sich nicht auf andere Organisationen, Einrichtungen und Unternehmen übertragen. Zum anderen ist noch nicht untersucht, ob Teilzeitkräfte ihre Stunden erhöhen und Nichterwerberbstätige eine Arbeit aufnehmen, wenn Vollzeitkräfte ihre Stunden reduzieren – und ob Frauen wirklich in stärkerem Umfang erwerbstätig sind, wenn Männer mehr Care-Arbeit übernehmen. Wünschenswert wären weitere Studien, die die langfristigen Auswirkungen auf Wirtschaft, Arbeitszeit, Bezahlung und Gleichstellung untersuchen.
– Lena Mändlen