Die Animationsserie BoJack Horseman (2014-2020) ist voll von komplexen (Frauen-)Charakteren. Einige von ihnen wollen wir euch im heutigen Serientipp genauer vorstellen.
BoJack Horseman hat eine ungewöhnliche Optik, diese sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Serie furchtlos harte Themen wie Abtreibung, Demenz und Suizid angeht. Abseits des abgehalfterten Schauspielers BoJack geht es um Menschen und Tieren unterschiedlichster Couleur, die sich wie er dadurch auszeichnen, dass man mit allen mitfühlen und sie gleichzeitig auch ablehnen kann.
Für Sarah Lynn, Kinderstar in BoJacks Fernsehserie aus den 90ern, war er eine Vaterfigur. Leider. Denn was sie von ihm lernt, ist, anderen immer zu geben, was sie wollen –egal, wie weh es tut. Bis ganz zum Schluss würde sie eigentlich gerne Architektin werden, also etwas erschaffen. Ihr von Drogensucht geprägtes Leben verläuft jedoch tragisch anders. Noch „im Jenseits“ trägt sie ein Oberteil, bei dem ihre Brüste von zwei Händen bedeckt werden. Zeitlebens wurde sie behandelt wie ein Objekt, mit dem Geld zu verdienen ist.
BoJacks Mutter Beatrice hat ihren Sohn von klein auf durch ihre Ablehnung regelrechtvergiftet. Auf den ersten Blick ein bösartiger Charakter, lernen wir in Rückblicken, wie Beatrice wurde, was sie ist: Ihr Bruder starb im zweiten Weltkrieg und ihre Trauer durfte sie nie zeigen, um ihre Mutter nicht zusätzlich zu belasten. Diese zerbricht trotzdem an ihrer Trauer, wird, weil sie „schwierig“ ist, auf Veranlassung ihres Ehemanns einer Lobotomie unterzogen und gibt der kleinen Beatrice noch mit, niemals irgendwen zu viel zu lieben. Ein Rat, den sie später an ihrem Sohn auslebt.
Gina Cazador ist BoJacks Co-Star. Sarkastisch und pragmatisch. Spielt sie gerne eine Figur, deren Hauptmerkmal es ist, BHs zu hassen und kalte Räume zu lieben? Nein, aber der Kredit zahlt sich nicht von allein ab. Über ihre Arbeit in einer Detektivserie mit BoJack erlangt sie endlich den hart erarbeiteten Erfolg Als er sie im Drogenwahn am Set fast zu Tode würgt, muss sie sich entscheiden: Belangt sie ihn für seine Tat, nur um dann reduziert zu werden auf „die Frau, die von BoJack Horseman gewürgt wurde“, oder kehrt sie den Fall unter den Teppich und fährt auf der Erfolgsspur weiter? Sie entscheidet sich für Letzteres – und erntet für ihr posttraumatisches Verhalten einen Ruf als schwierige Diva.
Princess Caroline BoJacks Agentin, Ersatzmama und on-off-Liebelei hat sich hochgearbeitet. Als ewig optimistische Workaholic mit Helferinnen-Syndrom bittet sie nie um Hilfe. Nach fünf Fehlgeburten entschließt sie sich, auch ohne Partner ein Kind zu adoptieren und kämpft mit der Unmöglichkeit, ihr Arbeitspensum beizubehalten und gleichzeitig eine innige Beziehung zu ihrem Kind aufzubauen. Doch sie kommt an den Punkt, wo ihr klar wird, dass sie BoJack nicht retten kann und es in Ordnung ist, sich für ihr Familienleben Unterstützung zu holen.
Diane Nguyen ist BoJack am ähnlichsten. Geprägt von einer toxischen Ursprungsfamilie, geplagt von Depression und Ängsten. Ihrem hochmoralischen Standard an andere wird niemand gerecht, auch sie selbst nicht. Immer hat sie gehofft, ihr Trauma künstlerisch in etwas zu transformieren, durch das sich Mädchen in einer ähnlichen Situation weniger allein fühlen. Letztlich krempelt sie ihr Leben um, findet eine gesunde Beziehung, distanziert sich von BoJack und akzeptiert die Nebenwirkungen der Antidepressiva, die ihr Leben unterm Strich deutlich verbessern. Die von ihr geschaffene optimistische Jugendbuch-Detektivin Ivy Tranist zwar nicht, womit sie Mädchen ursprünglich inspirieren wollte, aber ein anderer Weg zum selben Ziel.
In ein und derselben Folge kann man als Zuschauer:in bei BoJack Horseman weinen und Sekunden später laut lachen. Eine Serie mit dem Motto: „Das Leben kann manchmal echt sch… sein. Und dann lebt man weiter.“
– Natascha Heinisch
Foto: Netflix, 2015