Podcats – der Podcast zu equal pay Folge 12 – Johanna Lemke – Transkript

Wir wollen in unserem Podcast darüber sprechen, was passieren muss, damit in Deutschland Frauen und Männer für gleiche und gleichwertige Arbeit endlich auch gleich bezahlt werden.
Wie stellen wir die Weichen auf gerechte Bezahlung in der Arbeitswelt von morgen? Wie schaffen kürzere Arbeitstage gleiche Karrierechancen für Frauen und Männern? Was erfahren wir aus den Drehbüchern für Filme und Serien über unsere Vorstellungen von der Arbeit? Und wie wird IT inklusiv? Das alles wollen und noch viel mehr wir mit diesem Podcast herausfinden.
Wir freuen uns, wenn Ihr Mal reinhört! Garantiert ohne Kater danach!

Alle Folgen hier.

Natascha Heinisch:

Manche von euch wissen vielleicht, dass ich ein absoluter Disney-Fan bin und ich war aber noch nie in Disneyland oder in Disney World, weil, als ich klein war, meine Eltern da nie Lust drauf hatten und immer gesagt haben, ja, das Leben ist lang, das kannst du dann mal machen, wenn du groß bist. So, mit 38 Jahren habe ich das dann tatsächlich erstmals mit einer ganz wunderbaren Freundin von mir gemacht und ich war im Vorfeld tatsächlich so ein bisschen aufgeregt, weil ich gedacht habe, nicht, dass ich das Ganze dann zu sehr hype und am Ende ist es dann gar nicht so wundervoll, wie ich mir das immer vorgestellt habe. Aber ich muss sagen, es war sogar noch viel, viel, viel besser, als ich es mir jemals vorgestellt hätte und ich könnte direkt schon wieder hin. Da könnte man dann ja Zweifel bekommen, ob das zweite Mal dann nicht zurückfällt hinter dem ersten und überhaupt tolle Sachen soll man toll sein lassen und einmal machen und nicht versuchen, das Ganze noch mal zu rekreieren. Aber ich glaube, man kann immer neue Aspekte und Eindrücke gewinnen und deswegen freue ich mich schon auch total aufs nächste Mal. Wir haben diesmal bei den Podcats eine Premiere, nämlich, dass wir zwei Folgen hintereinander jetzt zum selben Bereich haben, denn auch heute werde ich mit einer Tänzerin sprechen.

Und ich bin ganz, ganz, ganz sicher, dass auch dieser zweite Einblick in die Tanzwelt noch mal genauso faszinierend und spannend wird wie der erste. Und deswegen begrüße ich heute bei mir ganz, ganz herzlich die liebe Johanna Lemke. Hallo Johanna.

Johanna Lemke:

Hallo.

Natascha Heinisch:

Fangen wir mit dem Grundlegendsten zuerst an. Erzählen wir ein bisschen was von dir. Wer bist du? Was machst du? Was sollte man über dich wissen?

Johanna Lemke:

Also ich bin Johanna und ich bin Mutter von drei Kindern. Das sage ich normalerweise jetzt nicht in der Vorstellung, aber ich würde es jetzt in diesem Fall mal machen. Ich bin Tänzerin und Choreografin und das auch schon seit ziemlich langer Zeit. Momentan arbeite ich vor allem als Performerin oder Interpretin für Boris Charmatz und für das Tanztheater Wuppertal und als Choreografin mehr so im Theaterbereich, zum Beispiel mit Thomas Ostermeier. Ich habe in den letzten, in den vergangenen Jahren viel mit mit Richter gearbeitet und bin, glaube ich, seit 2008 immer wieder Teil der Company von Constanza Macras in Berlin, jetzt zurzeit gerade ein bisschen weniger, weil ich mich mehr auf die französische Company Terrain konzentriert habe als Performerin.

Natascha Heinisch:

Jetzt hast du ganz viele Sachen schon angesprochen, über die wir dann auch reden wollen. Deine drei Kinder hast du auch erwähnt. Wir hatten unsere letzte Podcast-Folge auch mit einer Tänzerin, mit einem Kind. Haben da auch so ein bisschen über die Reaktionen gesprochen. Wie war das so bei dir? Die Reaktionen auf die Schwangerschaft oder Schwangerschaften in deinem Umfeld: Kolleginnen, Vorgesetzte – gab es Unterschiede vielleicht, erstes, zweites, drittes Kind? Wie ist das bei dir gewesen?

Johanna Lemke:

Also da würde ich definitiv sagen, dass das alles sehr unterschiedlich abgelaufen ist. Meine Kinder haben auch einen relativ großen Altersunterschied. Mein Größter, der ist jetzt schon 14. Da war ich dann auch dementsprechend natürlich jünger und es war dann auch noch in meinem Umfeld relativ unverbreitet, dass jetzt Kolleginnen Kinder haben. Also ich war, glaube ich, die Erste in meinem Umfeld und das war tatsächlich ein bisschen aufregend, weil ich wollte unbedingt weitertanzen damals und war fest am Theater angestellt und es wurde mir sehr schwierig gemacht überhaupt, so von dem Mutterschutzgesetz her, was ja eigentlich dann positiv sein könnte, war damals in meinem Fall etwas kontraproduktiv, weil ich wirklich weitermachen wollte und nicht durfte. Dann beim zweiten Kind war das irgendwie alles relativ im Fluss, muss ich sagen, weil ich da dann schon bei Constanza gearbeitet habe, die war ganz entspannt mit dem Thema. Also irgendwie hatte ich da gar keine Berührung. Das war einfach Teil des Lebens, würde ich sagen. Es war, glaube ich, der beste Zustand, was Kinder und Kunst anbetrifft. Also von der organisatorischen Seite komplex natürlich, Babysitter und so weiter, aber so vom Arbeitsgefühl her war das ziemlich entspannt, so wie ich es jetzt im Nachhinein empfinde.

Und dann die dritte Schwangerschaft war insofern interessant, weil ich das Gefühl hatte, es gab schon so viel Veränderung und es gab so eine große Bewegung, zu der ich irgendwie gar nicht dazugehört habe, weil ich es immer so durchgezogen habe und gar nicht so bewusst war, dass bestimmte Sachen gehen oder andere vielleicht gefordert werden müssten, auch von meiner Seite aus. Und dann war ich schon ein bisschen irritiert, muss ich sagen. Also im Positiven, wie aber auch im Negativen.

 
Natascha Heinisch:

Also du meintest, dass du dich vorher so Einzelkämpferin-mäßig durchgeschlagen hattest und dann in deiner Spur so drin warst, dass du, als dann das dritte Kind kam, über die anderen Entwicklungen dann noch gar nicht so Bescheid wusstest. Oder wie kann ich mir das vorstellen?

Johanna Lemke:

Ja, ich glaube, ich war mir auch relativ… Also das hast du voll toll gesagt, würde ich zustimmen. Und dann war aber auch noch so ein Faktor, dass ich mir so sicher war, dass es da, wo ich angekommen war, habe ich mich sehr, sehr sicher gefühlt und war dann etwas überrascht, dass diese Sicherheit mit dem Schwangersein offenbar gar nicht so sicher war. Und ich hatte eigentlich bei den ersten zwei Kindern, dadurch, dass ich vielleicht ein bisschen naiver war oder auch in einem anderen Umfeld mich eben aufgehalten habe, diesen Schockmoment insofern nicht so, aber dann doch. Und viele Dinge waren auf einmal so: „Ja, aber wie möchtest du das denn jetzt mit der Familie vereinbaren? – Nein, das geht dann irgendwie doch nicht.“ Und da war ich ziemlich schockiert, muss ich sagen, weil ich dachte, ich habe ja schon zwei Kinder, wieso kommt jetzt diese Frage auf? Und da ist mir bewusst geworden, ich habe sehr lange so getan. Nicht wirklich, weil die natürlich voll zu meinem Leben dazu gehören, wir leben ja zusammen. Aber ich habe es, ich habe es jetzt nicht so zum Thema gemacht, ich habe es so ein bisschen einfach durchgezogen, wie du sagst.

Natascha Heinisch:

Wie machst du es heute? Du nimmst deine Kinder ja auch mit zu den Proben. Wie hast du am Ende mit drei Kindern dich arrangiert zwischen Arbeit und Muttersein und allem anderen, was man im Leben sonst noch so macht?

Johanna Lemke:

Das ist für mich eine sehr komplexe Frage, weil ich kann die nicht einfach so jetzt beantworten: Ich habe kein Rezept, wie ich das mache. Ich bin definitiv keine alleinerziehende Mutter. Da ziehe ich noch mal ganz anders den Hut vor. Ich bin im Gegenteil eher in der Situation, dass es sehr viele Papas gibt und das heißt, wir können uns ganz gut arrangieren. Ich nehme die Kinder mit, wenn ich das nicht anders hinbekomme, aber ich bin wirklich auch ganz gerne in den Proben ohne Kinder, damit ich mich konzentrieren kann. Und zum Beispiel meine Tochter ist jetzt dann eben drei. Also das ist so ein Alter, das ist gar nicht so vorteilhaft, jetzt sie mit in die Probe zu nehmen. Natürlich gucke ich, das ist situationsabhängig, also, ob das dann passt oder nicht. Wenn es Endproben sind, muss ich mir immer irgendwas ausdenken. Es hat ganz viel … Wir sind ja auch nicht nur an einem Ort, wir sind dauernd unterwegs. Das international heißt schon auch viel die Kinder nicht sehen auf eine Art. Also ich habe auch diesen Konflikt, dass ich die dann in Berlin lassen muss zum Beispiel und ohne sie unterwegs bin und dann mich als Rabenmutter meinetwegen fühle, oft überlege, ob das überhaupt zusammengeht und so.

Also ich kann es nicht so positiv nur reden: Das und das funktioniert so und so; das Rezept dafür ist das und das. Nein, es ist wirklich mit jedem Projekt, mit jeder Arbeit unterschiedlich: Passt das, kann ich das machen? Auch deren Dinge, die die zu tun haben, ihre Freunde und ihre Welt, geht das zusammen? Es ist ein riesenkomplexes Ding, würde ich sagen.

Natascha Heinisch:

Ja, ist ganz spannend, dass du das sagst, genau das Gleiche hat die Tänzerin in der letzten Folge auch gesagt, dass sie so zwischen ihrer Leidenschaft für den Tanz und dem „Ich möchte auch eine gute Mama sein“, diese Zerrissenheit und wie sie sich das über die Jahre so erarbeitet hat, mit dem „Wenn es mir gut geht, weil ich meine Leidenschaft lebe, dann ist das auch gut für meine Kinder“, aber dass es halt ein Spagat ist zwischen sich irgendwie zerreißen, zwischen zwei Herzen, die man hat.

Johanna Lemke:

Absolut. Und es ist auch. Das ist nicht nur meine Leidenschaft, es ist auch mein Beruf. Das möchte ich an der Stelle unbedingt festhalten, weil natürlich sehe ich mich auch als Künstlerin. Was bedeutet das aber? Also damit verdiene ich das Geld für unsere Familie. Das ist auch wichtig an dieser Stelle zu erwähnen. Es ist jetzt nicht nur, dass ich mich selbst erfülle und durch die Welt tanze. Ich glaube, damit würde das Thema passé gehen, sozusagen, weil dann würde ich definitiv entscheiden, zu Hause zu bleiben. Aber es sind zwei Sachen. Also, das ist natürlich meine künstlerische und anderer Leute künstlerische Arbeit, aber es ist vor allem auch mein Beruf.

Natascha Heinisch:

Wenn du die Kinder mitgenommen hast, wie waren da so die Aushandlungsprozesse? War das einfach, es geht jetzt nicht anders, es ist so? Oder wurde da was für dich organisiert? Musstest du selber irgendwie gucken, wie du die Kinder dann in der Probe, wo du sie hinsetzt und wie du sie versorgt kriegst?

 
Johanna Lemke:

Das ist tatsächlich auch sehr, sehr unterschiedlich. Es gab ganz viele Arbeiten, wo ich dann an Babysitter-Kosten, wo man sich im Nachhinein gefragt hat: Wieso arbeite ich eigentlich? Und habe es dann immer so wie, na ja, wie so eine Investition in die Zukunft, damit das weitergeht und man lückenlosen Lebenslauf auch vorweisen kann und so weiter. Andere Situationen: Ich hatte jetzt das Glück, bei „Oh Mama!“ von Rebekka David in Saarbrücken mitwirken zu können und da haben wir das Thema wirklich thematisiert. Da hat mir dann zum Beispiel die Intendantin ihrem Babysitter weiter vermittelt und wir haben das wirklich so thematisiert. Letzten Endes, was ich jetzt nicht behaupten kann, dass irgendjemand mir diese Kosten jemals erstattet hätte, das nicht. Also das habe ich in meiner Produktion gemacht. Da gab es auch viele Mütter, da mussten dann die Performer von ihren Gagen … Also das wussten sie nicht, ich hatte ein bestimmtes Budget, das ist natürlich auch eine andere Konstellation, weil ich gar nicht so eine große Company jetzt gründen konnte. Aber ich hatte mich darauf konzentriert, immer zu sagen: Okay, wer braucht, wer hat Bedarf, können wir das irgendwie von der Produktion dann abzwacken oder so? Weil ich empfinde das so als so eine Notwendigkeit.

Natascha Heinisch:

Jetzt hast du das „Oh Mama!“ schon angesprochen. Das wollte ich eh noch fragen. Das heißt ja „Oh Mama! Manchmal sitze ich zu Hause und google meine Kinder“. Kannst du uns ein bisschen mitnehmen in das Stück? Weil das hört sich super interessant an. Wie kann man sich das vorstellen?

Johanna Lemke:

Ich wünschte jetzt natürlich, die Regisseurin wäre dabei, weil ich bin jetzt nicht die Regisseurin. Ich habe nur mitgemacht. Ich hatte allerdings das Glück, dass ich auch ganz intensiv an der Recherche mitarbeiten durfte. Ich habe zum Beispiel Audios gemacht vom Beginn der Produktion, wo ich meinen Alltag immer in Stichpunkten in der Art aufgenommen habe und da ist so ein ganz schönes Bild, finde ich, entstanden, was sie zusammengewebt hat, von was man dann schon auch alles zusammen hinbekommt. Aber ich fand schon, dass sie geschafft hatten, ein recht offenes Bild zu kreieren. Also sie selber ist nicht Mama und findet, dass das Thema aber ein gesellschaftliches Thema ist und hat deswegen auch ein bisschen diese Wahl getroffen. Da weiß ich nicht, ob sie jetzt dazu eingeladen war oder ob es jetzt ihre Entscheidung war, aber das fand ich irgendwie so das Spannendste daran, dass es jetzt nicht so ihr privates Anliegen war, letzten Endes, sondern dass sie das als gesellschaftliche Thematik betrachtet hat. Und das ist in dem Stück auch gut thematisiert worden.

Natascha Heinisch:

Dann gehen wir ein paar Jahre zurück in „Die Madonna“. 2020 hast du ja mit deiner kleinen Tochter getanzt, die damals acht Monate alt war. Wie waren da so die Reaktionen? Und auch da: Wie habt ihr zusammengearbeitet, sage ich mal, du und dein kleines Mädchen?

Johanna Lemke:

Ich liebe das, glaube ich, würde ich tatsächlich sagen die Arbeit, die mir am meisten am Herzen liegt. Das war ja mitten in der Pandemie und von den Uferstudios gab es so eine Ausschreibung für Mütter. Ich glaube, es waren drei Künstlerinnen, die einen Raum bekommen haben, eine Kreation zu machen. Und ich hatte gar nicht geplant, mit ihr zusammen auf die Bühne überhaupt zu gehen. Also es war von Anfang an klar, dass es nur eine Onlineausstrahlung gibt in irgendeiner Form, weil da durfte, da würde noch gar keiner kommen zum Gucken. Und ich hatte jetzt nun mal so eine neugeborene Tochter, die ich einfach mitbringen musste, weil … Wie war denn das? Ich weiß nicht, ob wir jetzt alle irgendwie vorher krank waren, aber die hatte so ein bisschen Grippe und da konnte ich keine Babysitterin oder einen Babysitter finden. So endete sie im Probenraum und ich war da mit meinem künstlerischen Begleiter Jakob Stoy. Eigentlich wollten wir das so duettartig machen und dann war sie halt so da. Und dann haben wir einfach gearbeitet und sie war irgendwie dann ein großer Teil der Arbeit und so entstand das. Also war ungeplant tatsächlich.

Natascha Heinisch:

Dann muss ja jede Performance kann auch anders sein, je nachdem, worauf sie Lust hat und wie sie gerade drauf ist, oder?

Johanna Lemke:

Genau. Also wie gesagt, es gab nur eine einzige Performance, die dann aufgenommen wurde, die aber relativ lang war tatsächlich. Und wir hatten dann zum Beispiel so einen Stillmobil gebaut, was so als Faktor X ungewiss im Raum war. Das heißt, immer wenn wir dann gedacht haben, okay, wenn es nicht klappt, kann ich mit ihr dann eben ins Stillmobil. Das war so eine Rollplattform, verschwinden oder dann da so dabei sein. Sie hat da total Lust gehabt. Sie hatte da irgendwie auch Spaß dran. Sie hat zum Beispiel sich hinsetzen gelernt in der Vorstellung und es war recht abgefahren, weil wir haben halt ganz viel über das Frauenbild uns unterhalten und auch zum Beispiel King Kong Theorie wurde da thematisiert und sie war halt so dabei als Diskussionspartnerin. Also es gab auch so ein Interview von der Jakob, der auch Musik gemacht hat mit ihr, die haben sich dann so ein bisschen unterhalten. Also alles so abstrakt jetzt auch nicht so total ins Detail oder so. Und es war aber total darauf angelegt, dass wenn sie nicht mehr kann oder wenn irgendetwas ist, wo klar ist, das ist für sie zu viel, dann brechen wir ab. Und das war Teil des Konzepts auch ein bisschen sozusagen.

Klar, man muss dann halt eine bestimmte Flexibilität mitbringen, aber schaffen wir trotzdem irgendwie, etwas zu kreieren, wo wir künstlerisch dahinter stehen und unseren Anspruch auch nicht runterschrauben müssen. Und da war ich sehr dankbar. Da fand ich, war mir eigentlich nur ein sehr gutes Team. Also wir drei.

Natascha Heinisch:

Sehr schön. Dann habe ich noch ein drittes Stück hier, „Die 10.000 Gesten“, wo du mit anderen Müttern und Vätern getanzt hast. Wie kann man sich da die Atmosphäre vorstellen? Ändert sich da was, auch vielleicht im Denken anderer Leute? Oder wie kann man sich überhaupt die Proben mit Eltern vorstellen? Was verändert sich da?

Johanna Lemke:

Also ich möchte mich distanzieren von dem Bild, dass es so eine Probe ist, wo so ein halber Kindergarten im Hintergrund rumhängt. Das ist definitiv nie der Fall gewesen. Ich würde auch gerne sagen, ich habe keinen einzigen Geburtstag oder so was meiner Kinder durch diese Vorstellung verpasst, aber das kann ich auch nicht sagen. Also letzten Endes ist es einfach eine sehr konzentrierte Arbeit, die viel unterwegs ist seit sechs Jahren und es kommt dann hin und wieder vor, dass jemand entweder mit Begleitpersonen oder auch ohne Kinder mit dabei hat. Also ich habe jetzt schon so ein paar Anekdoten, dass ich auch zum Beispiel mein Sohn, der mittlere, der war dann vielleicht so vier oder so und wir waren in einem Theater – piep, welches auch immer – und haben ihn irgendwie in so einer Loge da hingesetzt und haben ganz normal gearbeitet und dann bin ich da hingekommen und dann war das so halb voll gemalt und ich war so: „Oh Gott!“. Also gibt es schon auch. Also das ist absolut entspannt in der Probe. Man konnte das immer fragen und bin jetzt zum Beispiel auch total gerührt, weil jetzt hier in Wuppertal kenne ich noch niemanden, wo ich jetzt mein Kind hingeben könnte, wenn ich arbeiten muss.

Und der Choreograf Boris Charmatz hat jetzt zum Beispiel angeboten, auch seinen eigenen Babysitter, ob ich da meine Tochter mitbringen möchte und die die eben so die Zeit zusammen verbringen kann. Also das sind jetzt so Sachen, die dann passieren. Bin ich sehr dankbar dafür, aber es ist jetzt nicht so, dass ich jetzt behaupten kann, wir sitzen jetzt dort und sind immer … Überall sind die Kinder mit dabei.

Natascha Heinisch:

Also im Endeffekt ist es über die Jahre auch immer ganz individuell gewesen und es gab jetzt keine festen Strukturen, sage ich mal, in die man jetzt als Mutter oder Vater reinfallen konnte, sondern du hast immer selber schauen müssen: Wie ist es in dem Fall? Wie ist es im nächsten Fall? Und wie kriege ich es unter einen Hut?

Johanna Lemke:

Ja, definitiv. Wir sind auch alle irgendwie in der Familie, freischaffend, auch vorwiegend in der Kunst. Das heißt, es ist ein sehr bewegtes, großes organisatorisches Gerechne.

Natascha Heinisch:

Das heißt, weil es so individuell ist, hast du wahrscheinlich auch keinen Tipp nach außen? Oder du hast gesagt, dein großer Sohn ist 14. Vor 15 Jahren, wenn du dir selber deinem jüngeren Ich von vor 15 Jahren einen Tipp geben könntest, was würdest du sagen?

Johanna Lemke:

Also ich finde es wahnsinnig toll, mit jüngeren Frauen jetzt zu sprechen, wo ich das Gefühl habe, das ist ein ganz anderes Standing, was mir da entgegenkommt. Das Thema Mann-Frau löst sich einfach für mich schon – vielleicht ist es auch in meinem Raum, in dem ich mich aufhalte – immer mehr auf. Wenn ich zum Beispiel über Verhandlungen spreche, was jetzt Räume, die ich brauche oder so, das habe ich mich jetzt früher nicht getraut, einfach zu machen. Das habe ich alles selber organisiert. Also ob ich jetzt eine Wohnung … Ich muss in bei XY arbeiten, selber die Wohnung raussuchen, Babysitter klar machen, alles schön still und so tun, als ob alles funktioniert und es kein Problem gibt, halbwegs. Aber das versuche ich jetzt schon anders zu machen, also sozusagen mich zu entspannen, zu sagen: Okay, was brauche ich, damit ich diesen Job machen kann? Und zumindest ins Gespräch gehen: Ich bräuchte eine große Wohnung mit Küche – kennt ihr jemanden? Habt ihr irgendwie Kontakte für Babysitter-Empfehlungen, damit das nicht so random dann ist. Und klar, auch Reisekosten auf dem Tisch zu packen, per Diems zu besprechen. Alles, was so Kosten anbetrifft, nicht so ein Mysterium da draus zu machen, sondern wirklich das zu besprechen.

Man kann dann auch Nein hören, aber dass man ein bisschen seine Situation erklärt, das würde ich vielleicht als Empfehlung aussprechen, doch.

Natascha Heinisch:

Jetzt hast du Verhandlungen auch gerade angesprochen, wenn du so auf deine Karriere zurückblickst, deine oder auch dein Umfeld, wie hast du Gehaltsverhandlungen erlebt im Tanz? Wie ist das mit unterschieden Männern, Frauen beim Gehalt?

Johanna Lemke:

Irgendwie im Tanz Ist das anders als im Theater. Ich arbeite ja auch schon seit vier Jahren im Theater und da finde ich, die Unterschiede recht gravierend tatsächlich und habe auch komische Verhandlungen erlebt, wo man dann aufgrund dessen, dass man vielleicht im Tanz arbeitet, etwas jünger ausschaut und so ein bisschen sagen muss: Entschuldigung, ich arbeite seit über 20 Jahren, ich habe drei Kinder, ich glaube, ich habe sogar mehr Berufserfahrung als jetzt ein gewisser männlicher Schauspieler – wieso ist hier die Gage so viel geringer? Wir haben sich relativ viel dafür eingesetzt, dass aber nicht frauen-männer-bedingt, dass Tänzerinnen und Tänzer grundsätzlich eine gute Gage erhalten, in Berlin zumindest. Oder nein, eigentlich in Deutschland jetzt. Beim Tanz habe ich diese Differenz grundsätzlich, wenn es jetzt Choreografie ist, nicht angetroffen.

Natascha Heinisch:

Merkt… Was gibt es denn für Unterschiede, was das Alter angeht, dass man sagt, ein männlicher Tänzer ist länger interessant als eine weibliche Tänzerin, oder hat sich das mittlerweile mehr eröffnet? Man kennt es ja vom Schauspiel oft, dass es viel weniger Rollen für im Endeffekt schon Frauen ab 35, sage ich mal, gibt und alles sehr, sehr jung ist. Und für die Herren gibt es noch sehr lang sehr interessante Rollen. Wie ist das im Tanz?

Johanna Lemke:

Also ich habe so wie da zwei mein eigenes Empfinden und dann, wie ich das aber erlebe. Ich bin ja auch schon 40. Wenn ich jetzt in so einer Company hier arbeite, bin ich nicht mal mehr in der Mitte, sondern eher Richtung zu den Älteren dazugehörend. Und ich habe eher das Gefühl, natürlich, wenn man so und so lange als Tänzerin arbeitet oder eigentlich im Tanz grundsätzlich kommen Verletzungen hinzu und so weiter. Also der Res, … naja ist das Respekt? Also überhaupt das dabei sein zu können körperlich, ist eigentlich immer sehr wohlwollend angenommen. Ich weiß jetzt nicht so ganz genau, ob es da jetzt Frauen-Männer-Unterschiede gibt. Ich kann nur sagen, dass ich selber darüber nachdenke, ob ich mich noch weiterhin dann auf der Bühne sehe oder nicht, wie ich das sozusagen mit mir selber vereinbare. Aber da bin ich in so einem Dialog, gerade der noch relativ neu ist, weil ich bin jetzt noch nicht so lange 40 und ich bin selbst fast ein bisschen überrascht, dass das jetzt losgeht. Also vielleicht reden wir noch mal in, hopefully, so 20 Jahren.

Natascha Heinisch:
Ja, kann ich mir sehr gut vorstellen. Bei mir ist es in zwei Jahren auch so, weil man kommt schon … Es ist nur eine Zahl, aber im Endeffekt, mit jedem Jahrzehnt kommt man irgendwie ins Denken über das eigene Leben und wer bin ich? Was will ich? Wo komme ich her? Wo gehe ich hin?

Johanna Lemke:

Und es bleibt spannend. Ja, ist ja aber eigentlich immer schön, Menschen auf der Bühne doch zu sehen, wo man das Gefühl hat, da gibt es eine gewisse Lebenserfahrung auch. Also ich finde das immer eher schön, wenn ich das Gefühl habe, da ist was … Ich weiß nicht, ob das jetzt Alter ist. Also mich stört es zum Beispiel gar nicht, weder einen älteren Tänzer oder eine ältere Tänzerin oder wie auch immer. Das ist eher bereichernd. Macht Spaß.

Natascha Heinisch:

Ja, auf jeden Fall. Meinst du, dass es eine Alternative außer der aktiven Kombination von Tanz und Muttersein? Gibt es dazu eine Alternative, oder ist das der einzige Weg im Endeffekt, den du jetzt eingeschlagen hast, dass du es aktiv auch versuchst, miteinander zu verbinden in Teilen?

Johanna Lemke:

Also wie gesagt, ich habe darüber nie so richtig nachgedacht. Das heißt, es passiert einfach, weil das ist halt so passiert. Und ich finde es sehr herausfordernd und möchte auch echt voll oft aufgeben, weil ich das in so vielen Faktoren, sei es jetzt, dass man was verpasst, was passiert, wenn man weg ist oder wenn man dann eben zu Hause, sage ich jetzt mal in Anführungsstrichen, ist, dass man diesen Drang hat danach, in die Welt zu gehen, auch diesen Austausch kulturell zu erleben und so weiter. Das habe ich fast ein bisschen den Faden verloren, weil ich glaube, das ist für mich so ein Riesenthema tatsächlich, weil es so alltäglich zu bewerkstelligen wirkt. Also ich gehöre leider nicht zu den Leuten, die da so Tiefenentspannung haben, sondern es beschäftigt mich recht dolle.

Natascha Heinisch:

Du hattest ja auch gerade gesagt, auch aktuell bist du in so einer Phase, wo du überlegst, wie kann es in der mittelfristigen, längerfristigen Zukunft weitergehen? Also es ist wahrscheinlich einfach immer in der Entwicklung…

Johanna Lemke:

Absolut, ja. Ja, auch lustigerweise, so wie jetzt ist … Meine Tochter war geboren, dann gab es einen kleinen Hänger, sage ich mal, unerwarteterweise und jetzt ist es gerade so eigentlich alles recht fabelhaft, auch mehr Tanz, als ich jemals gemacht habe. Also wirklich so tänzerisch-choreografische Arbeit. Und trotzdem habe ich auch irgendwie so Fantasien, was ich zum Beispiel sonst noch machen könnte. Lustigerweise bin ich ganz doll in Gedanken bei Hebamme sein, was sozusagen für mich auf eine Art eine wahnsinnige Nähe mit dem Tanz hat, obwohl es was ganz anderes ist. Und dann aber klar, wäre ich wahrscheinlich auch nie drauf gekommen, wenn ich keine eigenen Kinder hätte. Aber es steht jetzt nicht so wirklich, es ist jetzt nicht so, ich müsste das jetzt tun, weil es gibt gerade gar nicht so wirklich einen Anlass, aber auch so ein bisschen eine Leidenschaft, die entstanden ist. Etwas, was ich wahnsinnig lieb gewonnen habe.

Natascha Heinisch:

Und Hebammen werden ja auch ganz, ganz dringend gebraucht, mal abgesehen davon, dass es eine ganz großartige Arbeit ist. Aber ja, ich bin gespannt, wo es dich, wenn wir uns das nächste Mal unterhalten in 10 oder 20 Jahren, was du dann erzählst, wofür du dich entschieden hast. Unser momentanes Kampagnenthema in der Equal-Pay-Day-Kampagne ist ja „Die Kunst der gleichen Bezahlung“ und wir wollen auch so ein bisschen einfach Tipps sammeln: Was soll man sich anhören? Was kann man sich anschauen? Und bei dir zum Tanz, aber auch gerne aus Musik, aus der Literatur: Werke von weiblich gelesenen Tänzerinnen, Sängerinnen, Schauspielerinnen. Welche Tipps hast du für unsere Zuhörerinnen und Zuhörer?

Johanna Lemke:

Das ist total peinlich, weil ich habe so mit dem, was ich mache, bin ich so dermaßen an meinem Limit, dass ich irgendwie nie schaffe, ins Kino zu gehen oder mir auch wirklich ganz wenig Stücke anschauen kann. Und auch das Lesen, das jetzt erst wieder so losgeht. Also ich kann jetzt einfach nur sagen, die Dinge, die mich irgendwie inspiriert haben, weil ich ja immer gearbeitet habe und da habe ich immer so ein bisschen natürlich herumrecherchiert. Ich habe Caroline Emcke gelesen und bin weiterhin dabei, das zu lesen, weil ich es wirklich lesungswert finde. Liv Strömquist. Ich weiß immer nicht, ob ich ihren Namen richtig sage. Es geht ganz viel die Tabuisierung der Vulva oder Menstruation, ist so mehr politwissenschaftlich. Das finde ich wahnsinnig toll. Da habe ich auch wirklich viel Inspiration für Labor MFL, also die Madonna sozusagen, hergenommen und auch war im Gespräch mit meiner Tochter da drüber. Und natürlich die die King Kong-Theorie.

Natascha Heinisch:

Kannst du dazu vielleicht noch mal was sagen? Was ist die King Kong-Theorie?

Johanna Lemke:

Also die Schriftstellerin thematisiert viel Prostitution oder Sexarbeit. Und ich würde sagen, es ist das Feministische Manifest. Ich glaube, was sagt sie… für die Unzufriedenen, die Ausgegrenzten oder die, die nicht in die Schublade passen oder so was in der Art. Also nagel mich bitte nicht fest. Ich bin nicht sicher, ob ich das richtig jetzt zitiert habe. Aber ja, es war ein guter Denkanstoß in diese Richtung.

Natascha Heinisch:

Sehr schön, das nehmen wir auf jeden Fall mit auf. Und dann kriegst auch du, wie alle unsere Gäste und Gästinnen, natürlich unsere Frage: Was bringt dich zum Fauchen und was bringt dich zum Schnurren beim Thema equal pay?

Johanna Lemke:

Wenn ich darüber nicht nachdenken muss, dann schnurre ich wahrscheinlich, wenn ich das Gefühl habe, das Thema existiert nicht, ist es ausgeglichen. Und genau, fauchen tue ich eigentlich wie das Gegenteil, dass ich dann, sobald ich das Gefühl habe, ein anderer Mensch hat da Vorteil aufgrund seines Geschlechts, ist es sehr unangenehm. Oder dass ich mich erklären muss, dass plötzlich man da sitzt und sich so gefühlt 13 fühlt, weil man irgendwelche komischen Sachen erklärt.

Natascha Heinisch:

Wenn man von oben herab behandelt. Ja, kann ich total verstehen. Ja, total. Du bist, wie gesagt, unsere zweite Tänzerin. Das ist eine Welt, die ich ganz, ganz faszinierend finde und habe mich sehr, sehr gefreut, dass du uns heute deine Zeit geschenkt hast mit all den anderen vielen Sachen, die du sonst noch zu tun hast. Vielen, vielen Dank, dass du dabei warst. An euch alle da draußen, wenn ihr Fragen habt, könntet ihr uns gerne schicken an info@equalpayday.de und natürlich wie immer folgt uns auf Social Media: Da sind wir unterwegs unter dem Hashtag #epd. Ich sage noch mal vielen, vielen Dank, Johanna und bis zum nächsten Mal. Tschüss.

Johanna Lemke:

Ich danke auch. Ciao.

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