Ella Carina Werner ist Satirikerin, Autorin und Mitherausgeberin der „Titanic“ und hat mehrere Bücher veröffentlicht, darunter „Man kann auch ohne Kinder keine Karriere machen – Geschichten aus meinem Leben“. Für uns beleuchtet sie Geschlechterstereotype und den Gender Care Gap aus satirischer Perspektive.
Foto: Julia Schwendner
Früher gab es Männerberufe und Frauenberufe, so erklärte es mir meine Großmutter. Letztere erkannte man daran, dass sie meistens was mit Textilien, Tieren oder Menschen zu tun hatten und immer schlecht bezahlt waren. Frauen taten, was man mit kleinen, zierlichen Frauenhänden eben am besten tun konnte: Sticken, Gänse rupfen oder Zäpfchen in Säuglingspopos einführen.
Lange Zeit durften Frauen Männerarbeit nicht machen, dafür waren sie nicht geeignet. Zu kleine Körper (fürs Militär), zu kleine Gehirne (für die Wissenschaft), zu schwache Nerven (für die Politik) und so fort. Die Aufgabenteilung war klar. Straße fegen: männlich. Haus fegen: weiblich. Diktieren: männlich. Diktat abtippen: weiblich. Krieg machen: männlich. Trümmer nach Krieg wegräumen: weiblich.
Meine Großmutter, das sagte sie immer, wollte eigentlich Architektin werden, wurde aber Hausfrau. Großtante Gerda träumte von einem Leben als Ärztin, wurde aber Arztgattin. Das fand sie “auch ganz apart”, aber ihr trübseliger Blick und ihre Liebe zu medizinischen Fachbüchern sagten etwas anderes. “Froh in den Hausputz”, hieß es auf Werbeplakaten im Jahr 1953, aber Großtante Gerda ging eher unfroh in den Hausputz und wurde depressiv.
Jetzt ist das Jahr 2023. Klar separierte Frauen- und Männerberufe gibt es heute nicht mehr, aber zahllose Jobs werden noch immer als weiblich oder männlich wahrgenommen. Geburtshilfe: weiblich. Bestattungshilfe: männlich. Tagesmutter: weiblich. Tagesvater: lustig.
Und noch immer wird Frauenarbeit häufig schlechter bezahlt. Ohne Grund. Mein Onkel ist Abteilungsleiter und hat 25 Leute unter sich. Meine Tante ist Kita-Erzieherin und hat auch 25 Leute unter sich, verdient aber elfmal weniger.
Gerne heißt es: Ja, müssten die Frauen halt mal bisschen besser verhandeln; einfach mal selbstbewusster, offensiver auftreten. Aber gerade in meiner Branche, im Kulturbetrieb, unter Künstler*innen, wo sich eher extrovertierte, selbstbewusste Frauen tummeln, gibt es zwischen den Geschlechtern riesige Einkommensunterschiede, beträgt der Gender-Pay-Gap aktuell über 20 Prozent. Einziger Lichtblick: Nur im klassischen Ballett verdienen Frauen im Schnitt sogar 2 Prozent mehr als ihre männlichen Kollegen. Was ich gleich recherchieren muss: Gibt es eine vom Jobcenter bezahlte Umschulung zur Primaballerina auch noch für über 40-Jährige?
Meine Großmutter wäre heute mit Sicherheit Architektin geworden, trotz der kleinen Hände, und Großtante Gerda vielleicht niemals depressiv.