Verdienstungleichheit endet nicht beim Vergleich der Bruttostundenverdienste

gendergapsimulator

Ein Interview mit Leonie-Sophie Schröder vom Statistischen Bundesamt.

2022 gibt es bei der Berechnung des Gender Pay Gaps durch das Statistische Bundesamt einen Bruch in der Zeitreihe: Was hat sich verändert?

Schröder: Bis zum Berichtsjahr 2021 wurden Ergebnisse zum Gender Pay Gap basierend auf der vierjährlichen Verdienststrukturerhebung berechnet, die letztmalig für das Berichtsjahr 2018 durchgeführt und anschließend fortgeschrieben wurde. Ab dem Berichtsjahr 2022 wird der Gender Pay Gap durch die neue monatliche Verdiensterhebung berechnet.

Mit der neuen monatlichen Verdiensterhebung haben wir deutlich mehr Einzeldaten – über 8 Millionen im Schnitt, vorher waren wir bei 800.000. Insgesamt können wir schneller Ergebnisse zur Verfügung stellen. Gleichzeitig entsteht dadurch ein Bruch in der Zeitreihe, der die Vergleichbarkeit zu den Vorjahren einschränkt: Die neue Verdiensterhebung basiert auf einer anderen Erhebungsmethodik und weist zudem teilweise unterschiedliche Merkmale als die vierjährliche Verdienststrukturerhebung auf. Die Aussagekraft des Gender Pay Gaps verändert sich dadurch aber nicht.

Im neuen Datensatz ist die Zahl der Verdienststärksten höher: Wieso ist das so und welche Auswirkungen hat das auf den Gender Pay Gap?

Die damalige Verdienststrukturerhebung wurde alle vier Jahre erhoben und in den Folgejahren durch die vierteljährliche Verdiensterhebung fortgeschätzt. Hier waren Topverdienende unterrepräsentiert. In der neuen Verdiensterhebung ist der Anteil dieser Gruppe deutlich höher, was möglicherweise damit zu tun hat, dass ein Betrieb die Daten neuerdings von all seinen Mitarbeitenden übermitteln muss.

Der Gender Pay Gap liegt auch 2022 bei 18 %, aber die absolute Verdienstdifferenz zwischen Frauen und Männern ist ein bisschen gestiegen im Vergleich zum Vorjahr. Das kann darauf zurückzuführen sein, dass wir eben mehr Topverdiener:innen in der Verdiensterhebung haben, unter denen der Anteil der Männer größer ist als der der Frauen. Wenn man den Gender Pay Gap auf eine Nachkommastelle runden würde, dann würde er auch leicht höher ausfallen als noch 2021. Wir geben den Gender Pay Gap allerdings ohne Nachkommastelle an, da sonst eine Genauigkeit suggeriert wird, die nicht sicher gegeben ist.

Wie aussagekräftig ist die Datenbasis für den Bereich Kunst und Kultur?

Wir haben keine Selbstständigen, sondern nur abhängig Beschäftigte in der Verdiensterhebung. Deswegen kann man hier sagen, dass der Wirtschaftszweig Kunst und Kultur unterrepräsentiert ist – die selbstständigen, also freischaffenden Künstler:innen werden wahrscheinlich einen großen Teil ausmachen.

Schaut man sich den Wirtschaftszweig etwas genauer an, fällt auf, dass der Gender Pay Gap insbesondere im Bereich Dienstleistungen des Sports, der Unterhaltung und Erholung stark zurückgegangen ist. Im Bereich kreative, künstlerische und unterhaltende Tätigkeiten ist er sogar ein kleines Stück gestiegen.

Neben der neuen Datenbasis haben Sie auch ein neues Tool und einen neuen Indikator entwickelt: Den Gender Gap Simulator und den Gender Gap Arbeitsmarkt. Was möchten Sie damit erreichen?

Unser Anliegen ist es, neben dem Gender Pay Gap noch eine breitere Datenbasis zum Thema Verdienstungleichheit zu schaffen.  Beim neuen Gender Gap Arbeitsmarkt werden noch mehr Aspekte zum Thema Verdienstungleichheit berücksichtigt, wie z.B. das Thema Arbeitszeit. In Deutschland arbeiten im EU-Vergleich besonders viele Frauen in Teilzeit und das geht einher mit geringeren Bruttostundenverdiensten, weil durch Teilzeit u.A. Karrieresprünge seltener werden. Auf der anderen Seite führt das auch zu einem geringeren Bruttomonatsverdienst. Deswegen ist es in unseren Augen sehr wichtig, dass man auch diese Dimension betrachtet. Verdienstungleichheit hört nicht beim Bruttostundenverdienst auf. Verdienstungleichheit zieht sich durch das komplette Erwerbsleben und wirkt sich langfristig auch auf die soziale Absicherung im  Rentenalter aus: Durch Teilzeitarbeit bauen sich gesetzliche Rentenansprüche nur in geringerem Maße auf.

Warum arbeiten in Deutschland mehr Frauen in Teilzeit?

Zahlen des Mikrozensus zeigen die unterschiedlichen Gründe von Männern und Frauen für Teilzeit. Bei Frauen sind mitunter die häufigsten Gründe Kindererziehung und Pflege Angehöriger; bei Männern war einer der häufigsten Gründe  Bildung/Weiterbildung. Während Frauen also aufgrund von Carearbeit Teilzeit arbeiten, spielt bei Männern in Teilzeit die Investition in die eigene Karriere eine übergeordnete Rolle.

Im Simulator wird deutlich, dass eine Lohnuntergrenze keinen Effekt auf den Gender Pay Gap hat: Woran liegt das?

Bei der Lohnuntergrenze profitieren zwar mehr Frauen von dieser fiktiven Anhebung der Verdienstgrenze, aber die Durchschnittsverdienste von Frauen und Männern sind insgesamt ähnlich stark angestiegen. Von einer fiktiven Lohnobergrenze von 37,07 Euro wären deutlich mehr Männer betroffen, weil unter den verdienststärksten 10% deutlich mehr Männer sind. Das zeigt, dass der Gender Pay Gap insbesondere durch männliche Spitzenverdiener verursacht wird, für die es zu wenig weibliche Äquivalente gibt.

Bisher haben wir argumentiert, dass der unbereinigte Gender Pay Gap im Gegensatz zum bereinigten Gender Pay Gap strukturelle Komponenten mitberücksichtigt. Der Gender Gap Arbeitsmarkt erweitert hier noch einmal die Perspektive. Was kann dieser Indikator leisten und heißt das, dass es eigentlich noch schlechter um die Verdienstgleichheit steht, als der Gender Pay Gap zeigt?

Der Gender Pay Gap – in unbereinigter und bereinigter Form – ist und bleibt ein wichtiger Indikator. Er betrachtet das Thema Verdienstungleichheit mit dem Fokus auf den Verdienstunterschieden pro Stunde. Essentiell ist eben auch das Thema Arbeitszeit und Erwerbsbeteiligung: Wie groß ist der Anteil erwerbstätiger Frauen und Männer? Wie viele Stunden arbeiten Frauen und Männer durchschnittlich? Im Simulator steht neben dem Gender Pay Gap jetzt auch der Gender Hours Gap und der Gender Employment Gap im Fokus. Diese drei Gender Gaps münden letztendlich in den Gender Gap Arbeitsmarkt. Mit dem Gender Gap Simulator wollen wir die Datengrundlage zu Verdienstungleichheit und Perspektive zum Thema erweitern.

link interview

Podcats -

Der Podcast zu equal pay

link shop

Shop

Materialien für den Equal Pay Day

link wiki

Wiki

Gesammeltes Wissen über equal pay in Deutschland und anderswo

link publikationen

Publikationen

Alle EPD Journale können Sie hier nachlesen

link studien fakten

Studien

und Fakten

link newsletter

Newsletter

Melden Sie sich für den Newsletter an

initiiert von

unterstützt vom

 
Nach oben scrollen