Gender Gaps auf dem Arbeitsmarkt und die Rolle der Zeit

Clara Schäper

Clara Schäper ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin in der Forschungsgruppe Gender Economics des DIW Berlin. Sie hat ihren B.Sc. in Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim und ihren M.Sc. in Angewandter Volkswirtschaftslehre an der Paris School of Economics (PSE) erworben. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Arbeits-, Gender- und Familienökonomie.

Foto: DIW

Der prozentuale Unterschied zwischen den Stundenlöhnen von Männern und Frauen, der sogenannte Gender Pay Gap, betrug nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2022 18 Prozent. Damit hat er sich in den vergangenen 20 Jahren kaum verändert. Dabei ist die Gleichstellung der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt seit Jahren ein zentrales Thema in Politik und Gesellschaft. Der Equal Pay Day und der Internationale Frauentag haben das Bewusstsein für den Gender Pay Gap geschärft, dessen Nennung in den deutschen Medien sich zwischen 2014 und 2018 mehr als versiebenfacht hat. Die steigende Popularität zeigt sich auch im starken Anstieg der Google-Suchanfragen zum Begriff „Gender Pay Gap“, wobei seit 2018 die höchsten Suchinteressen stets im Monat März verzeichnet werden, mit dem bisherigen Höhepunkt im März 2023.[1]Diese Jahr rückt die EPD Kampagne die Zeit, die Frauen und Männer für ihre bezahlten und unbezahlten Tätigkeiten aufbringen, in den Fokus. Denn darin liegt eine wichtige Ursache des Gender Pay Gaps.

Claudia Goldin, die 2023 den Wirtschaftsnobelpreis erhielt, hat maßgeblich dazu beigetragen, unser Verständnis geschlechtsspezifischer Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt zu vertiefen. Sie prägte den Begriff der U-förmigen Kurve, die zeigt, dass die Erwerbsbeteiligung verheirateter Frauen zu Beginn des 19. Jahrhunderts abnahm. Diese Entwicklung vollzog sich mit dem Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft, kehrte sich mit dem Wachstum des Dienstleistungssektors jedoch im frühen 20. Jahrhundert wieder um. Innovationen wie die Bildungsexpansion und die Einführung der Antibabypille trugen später dazu bei, dass die Erwerbstätigkeit von Frauen bis zum Ende des 20. Jahrhunderts weiter zunahm.[2]

In Deutschland ist die Erwerbsbeteiligung von Frauen seit den 1990er Jahren vor allem durch vermehrte Teilzeit stark angestiegen. Die Beschäftigungsquote in Teilzeit, also der Anteil der Teilzeiterwerbstätigen aller Personen im erwerbsfähigen Alter, stieg von 15 Prozent in den 1990er Jahren auf 23 Prozent im Jahr 2017 an, während der Anteil der Vollzeitbeschäftigten an der erwerbsfähigen Bevölkerung nahezu konstant blieb.[3] Im Jahr 2022 gingen fast die Hälfte der erwerbstätigen Frauen (49 Prozent), einer Teilzeitbeschäftigung nach, während die Teilzeitquote bei Männern mit 13 Prozent deutlich niedriger lag.[4] Diese Entwicklungen sind einerseits erfreulich, da viele Frauen nun berufstätig sind, die zuvor kein Erwerbseinkommen und somit auch keine eigenen Ansprüche an die sozialen Sicherungssysteme hatten. Andererseits sind mit Teilzeitarbeit auch klare Nachteile verbunden, etwa geringere Stundenlöhne (Part-time Wage Gap).[5] So erhielten Frauen im Jahr 2017 in Teilzeit durchschnittlich etwa 17 Prozent weniger Stundenlohn im Vergleich zu vollzeitbeschäftigten Frauen.

Claudia Goldins Arbeit lehrt uns außerdem: Ein entscheidender Erklärungsfaktor für den bestehenden Gender Pay Gap ist die Geburt des ersten Kindes (Motherhood Penalty).[6] In Deutschland zeigt sich bereits im ersten Lebensjahr des Kindes eine starke Ungleichverteilung der Betreuungsarbeit, wobei die meisten Mütter mehr als zehn Monate Elterngeld beziehen, während die 40 Prozent der Väter, die überhaupt Elternzeit in Anspruch nehmen, dies im Durchschnitt nur für etwa zwei Monate tun.[7] Zwischen 20 und 30 Jahren, also bis zum durchschnittlichen Alter der Mütter bei der Geburt des ersten Kindes, ist der Gender Pay Gap mit sieben Prozent noch relativ gering, steigt dann aber ab dem Alter von 30 Jahren stark an und liegt ab 40 Jahren konstant über 22 Prozent.

Frauen verbrachten in Deutschland zwischen 2010 und 2020 durchschnittlich 1,5-mal so viel Zeit mit unbezahlter Sorgearbeit, wie Männer. In der Altersgruppe der 35- bis 39-Jährigen verbringen Frauen sogar mehr als doppelt so viel Zeit mit unbezahlter Sorgearbeit wie Männer. Der Gender Care Gap steigt dabei parallel zum Gender Pay Gap ab dem Alter von 30 Jahren bis zum Alter von 40 Jahren stetig an. Während der Gender Pay Gap danach konstant hoch bleibt, fällt der Gender Care Gap bei den über 40-Jährigen wieder ab – was insbesondere daran liegt, dass die für Kinderbetreuung verwendete Zeit im Lebensverlauf sinkt.[8] Parallel zum Gender Pay Gap steigt außerdem der Anteil von Frauen in Teilzeitarbeit ab dem Alter von 30 Jahren stark an. Frauen geben ihre Vollzeittätigkeit zugunsten einer Teilzeittätigkeit meist deshalb auf, um mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit zu haben, wenn die Kinder noch jung sind. Bei Männern ist das Gegenteil der Fall – sie weiten in diesem Lebensabschnitt ihre Arbeitszeit aus. Darüber hinaus verbleiben Frauen häufig auch dann in einer Teilzeitbeschäftigung, wenn die Kinder älter sind: Die Teilzeitquote von Frauen ist auch bei den 50- bis 60-Jährigen konstant hoch.[9]

Trotz zahlreicher Diskussionen über Gleichstellung und Frauenrechte bestehen erhebliche Ungleichheiten auf dem deutschen Arbeitsmarkt und besonders in heterosexuellen Paarhaushalten. Die ungleiche Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit trägt wesentlich zum Gender Pay Gap bei. Wenn die Politik das Ziel der Chancengleichheit für Frauen und Männer auf dem Arbeitsmarkt ernsthaft verfolgen will, sollte sie in der kritischen Lebensphase der Familiengründung ansetzen. Mögliche Ansätze sind eine Reform des Ehegattensplittings und der Mini-Jobs, der Ausbau qualitativer Kinderbetreuung sowie die Überarbeitung des Elterngeldes, insbesondere der Partnermonate. Ein Umdenken zu einer gerechteren Aufteilung von bezahlten und unbezahlten Tätigkeiten muss zudem nicht nur politisch und strukturell auf dem Arbeitsmarkt verankert werden, sondern auch in der Gesellschaft. Claudia Goldins Worte in ihrer Nobelpreisrede unterstreichen dies: “Die letzte Meile, das letzte Kapitel, der letzte Akt in der Saga der Geschlechterungleichheiten kann nicht geschrieben werden, bis Paare mehr teilen und bis die Arbeitswelt dies zu einer weniger kostspieligen Angelegenheit macht. Wenn heterosexuelle Paare die Gleichberechtigung innerhalb der Partnerschaft aufgeben, verstärken sie die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, wenn Paare die Gleichberechtigung erhöhen, fördern sie die Gleichstellung der Geschlechter.”[10]

[1] Julia Schmieder und Katharina Wrohlich (2021): Gender Pay Gap im europäischen Vergleich: Positiver Zusammenhang zwischen Frauenerwerbsquote und Lohnlücke. DIW Wochenbericht Nr. 9, 141–147 (online verfügbar).
[2] Presseerklärung des Nobelpreiskommitees. NobelPrize.org. Nobel Prize Outreach AB 2024. Wed. 3 Jan 2024. https://www.nobelprize.org/prizes/economic-sciences/2023/press-release/.
[3] Patricia Gallego Granados, Rebecca Olthaus und Katharina Wrohlich (2019): Teilzeiterwerbstätigkeit: Überwiegend weiblich und im Durchschnitt schlechter bezahlt. DIW Wochenbericht Nr. 46, 845–850 (online verfügbar).
[4] Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. N026 vom 27. April 2023.
[5] Patricia Gallego Granados et. al. (2019, a. a. O.
[6] Presseerklärung Nobelpreiskommittee, a.a.O.
[7] Claire Samtleben, Clara Schäper und Katharina Wrohlich (2019): Elterngeld und Elterngeld Plus: Nutzung durch Väter gestiegen, Aufteilung zwischen Müttern und Vätern aber noch sehr ungleich. DIW Wochenbericht Nr. 35, 607–613 (online verfügbar); Uta Brehm, Mathias Huebener, und Sophia Schmitz (2022) Bevölkerungsforschung Aktuell 6/2022: 3–7.
[8] Clara Schäper, Annekatrin Schrenker und Katharina Wrohlich (2023): Gender Pay Gap und Gender Care Gap steigen bis zur Mitte des Lebens stark an. DIW Wochenbericht Nr.9, 100-105 (online verfügbar).
[9] Annekatrin Schrenker und Aline Zucco (2020): Gender Pay Gap steigt ab dem Alter von 30 Jahren stark an. DIW Wochenbericht Nr. 10, 137–145 (online verfügbar).
[10] Claudia Goldin, Nobel Lecture, “An Evolving Economic Force,” Dec. 8, 2023

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