Eine andere Zeit

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Im Leitartikel zur Equal Pay Day Kampagne 2024 erläutern wir den Zusammenhang zwischen Zeit, Geld und dem Gender Pay Gap. Denn der aktuelle Gender Pay Gap von 18 Prozent hängt unmittelbar mit der Entwicklung von Arbeitszeitmodellen zusammen. In vielen heterosexuellen Beziehungen ist der Mann in Vollzeit erwerbstätig, während die Frau in Teilzeit einer Erwerbsarbeit nachgeht und den Großteil der Care-Arbeit übernimmt. Diese Diskrepanz ist mitverantwortlich für den Gender Pay Gap. Dieser wird sich nur reduzieren, wenn es gelingt, Erwerbsarbeit, Care-Arbeit und Freizeit paritätisch zu teilen. Es ist höchste Zeit dafür!

Foto: unsplash /Jake Kozak

Mit dem Wort „Jetzt“ beschreiben wir im deutschsprachigen Raum, dass etwas sofort und mit einer gewissen Dringlichkeit geschieht. In Südafrika hingegen gibt es verschiedene sprachliche wie gelebte Zeitstufen des „Jetzt“ – sie reichen von „Now“ (Jetzt) über „Now Now“ bis hin zu „Just Now“. Auch in der zeitlichen Gestaltung von Erwerbsarbeit fallen länderspezifische Unterschiede auf: Während vergangenen Sommer viele Menschen in Deutschland hohe Temperaturen und schwindende Konzentration am Arbeitsplatz beklagten, ist in den meisten südeuropäischen Ländern der Arbeitstag durch die mittägliche Siesta auch bei heißem Wetter zu meistern.  

Bereits diese wenigen Beispiele zeigen, dass kulturelle Zeitkonzepte oder klimatische Bedingungen unser Zeitverständnis und unsere Nutzung von Zeit beeinflussen. Die Zeitstrukturen, in denen wir leben und die unsere Gesellschaften organisieren, sind nicht naturgegeben. Sie sind Konstrukte und veränderbar. Das ist eine gute Nachricht! 

Damals, heute und morgen: Arbeitskämpfe, Klimawandel und Digitalisierung 

Arbeitszeiten sind gestaltbar, sie wurden historisch erkämpft. Haupterwerbsarbeit in vorindustriellen Zeiten war die an Tageslicht, Wetter und Jahreszeiten gebundene Landwirtschaft. Klar abgegrenzte Arbeitszeiten gab und gibt es auch heute in der Landwirtschaft nicht. Mit der Industrialisierung setzte sich eine neue Zeitkultur durch, denn die Fabrikarbeit war vom Produktionsrhythmus der Maschinen und durch eine räumliche Trennung von Wohnung und Arbeitsplatz bestimmt. Jahreszeiten oder Wetter spielten keine Rolle mehr. Arbeitgebende verlängerten die Arbeitszeiten auf täglich bis zu 16 Stunden bei einer 6-Tage-Woche, auch damit die teuren Maschinen voll ausgelastet werden konnten. So wuchs nicht nur die Abhängigkeit der Arbeiter:innen, sondern auch ihre Unzufriedenheit. Im Laufe der Zeit erkämpften Arbeitnehmer:innen neue Arbeitszeiten: Ab 1870 wurden diese im deutschen Kaiserreich pro Tag langsam reduziert, 1900 zunächst der 10-Stunden-Tag und 1919 der uns bekannte 8-Stunden-Tag in der Weimarer Republik eingeführt.

Dieser kurze – wenn auch unvollständige – Rückblick verdeutlicht den Zusammenhang von Arbeitszeiten, kollektiven Arbeitskämpfen und individuellen Wünschen der Arbeitnehmenden. Er betont zudem die Notwendigkeit, unser Verhältnis zu Erwerbsarbeit immer wieder kritisch zu hinterfragen. Auch heute spielen viele gesellschaftliche und politische Entwicklungen, klimatische Veränderungen und technische Fortschritte bei der Gestaltung von Arbeitszeiten eine Rolle, sei es der Klimawandel, die mit der Digitalisierung einhergehende Flexibilisierung von Zeit und Raum oder der Wandel gesellschaftlicher Rollenbilder. 

Erwerbstätigkeit von Frauen  

So ist auch die uneingeschränkte Erwerbstätigkeit von Frauen ein langwieriges Resultat gesellschaftspolitischer Entwicklungen und musste in der BRD mühsam erkämpft werden. Nach dem 2. Weltkrieg verrichteten viele Frauen für Männer übliche Tätigkeiten, solange diese in Kriegsgefangenschaft waren und Frauen ihre Familien allein ernähren mussten. Sobald ihre Männer zurückkehrten, wurden Frauen wieder in den Haushalt zurückgedrängt. Die Nichterwerbstätigkeit von Frauen galt als Statussymbol: Nur bei Paaren, die es sich anders nicht leisten konnten, waren beide berufstätig. Bis 1957 war in Arbeitsverträgen die Zölibatsklausel zulässig, die das Arbeitsverhältnis von Frauen bei Eheschließung automatisch unter Verlust des Ruhegehalts beendete. Das Doppelverdienergesetz erlaubte die Entlassung verheirateter Beamtinnen. Noch bis zum Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes von 1958 durften Männer über das Dienstverhältnis ihrer Ehefrau entscheiden. Auch danach durften Ehefrauen nur dann einer Erwerbsarbeit nachgehen, wenn diese mit „ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar” war. 1977 wurde schließlich das „paritätische Ehemodell“ eingeführt. Es hielt fest, dass Frauen und Männer gleichermaßen zur Erwerbstätigkeit berechtigt waren. Kurz vor der deutschen Wiedervereinigung Ende der 1980er war in der BRD etwa die Hälfte aller Frauen erwerbstätig, der Gender Pay Gap betrug 26 Prozent. 

In der DDR sah es anders aus: Frauen waren stärker ins Arbeitsleben einbezogen und der Staat sorgte für die Kinderbetreuung. Ende der 1980er Jahre waren knapp 90 Prozent der Frauen erwerbstätig, der Gender Pay Gap betrug 16 Prozent. Diese Unterschiede zwischen BRD und DDR spiegeln sich bis heute in der höheren Erwerbstätigkeit von Frauen und dem geringeren Gender Pay Gap in Ostdeutschland wider: 2022 waren 69 Prozent der Mütter in ganz Deutschland erwerbstätig, allein in den ostdeutschen Bundesländern waren es 76 Prozent. Der Gender Pay Gap liegt dort nur bei circa 6 Prozent. 

Höchste Zeit für equal pay!  

Seit 2008 gibt es den Equal Pay Day in Deutschland, der auf die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern aufmerksam macht und die gleiche Bezahlung für gleiche und gleichwertige Arbeit fordert. Der aktuelle Gender Pay Gap von 18 Prozent hängt unmittelbar mit der Entwicklung von Arbeitszeitmodellen zusammen. In vielen heterosexuellen Beziehungen ist der Mann in Vollzeit erwerbstätig, während die Frau in Teilzeit einer Erwerbsarbeit nachgeht und dafür den Großteil der Care-Arbeit übernimmt. Frauen arbeiten fast dreimal so häufig in Teilzeit wie Männer. Diese Diskrepanz bei der Erwerbsarbeitszeit ist mitverantwortlich für die gleichbleibend hohe Lohnlücke zwischen den Geschlechtern. Sie wird sich nur reduzieren, wenn es gelingt, Erwerbsarbeit, Care-Arbeit und Freizeit paritätisch zu teilen. Es ist höchste Zeit, unsere Arbeitszeitmodelle zu überprüfen! Vielleicht gibt es nicht die eine Lösung für alle Branchen, aber es gibt eine Lösung für jede Branche. Verkürzte Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich, 4-Tage-Woche, Jobsharing – was mit Blick auf den Fachkräftemangel unmöglich scheint, kann zur Lösung des Problems beitragen. So könnten verstärkt Frauen als Fachkräfte gewonnen werden.  

Das Motto der Equal Pay Day Kampagne 2024 „Höchste Zeit für equal pay!“ rückt diesen Zusammenhang von Zeit und Geld in den Fokus. Zeitstrukturen sind veränderbar und können gestaltet werden. Es ist höchste Zeit dafür. Jetzt. 

Quellen

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1126144/umfrage/woechentliche-arbeitszeit-in-deutschland/

https://www.dhm.de/lemo/kapitel/weimarer-republik/industrie-und-wirtschaft/achtstundentag.html

https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/26890/familie-und-beruf-eine-deutsche-geschichte/

https://www.bmfsfj.de/resource/blob/93168/8018cef974d4ecaa075ab3f46051a479/25-jahre-deutsche-einheit-gleichstellung-und-geschlechtergerechtigkeit-in-ostdeutschland-und-westdeutschland-data.pdf S. 21, 27

https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/10/PD23_392_12_13.html

https://iab.de/presseinfo/gender-pay-gap-im-westen-dreimal-so-hoch-wie-im-osten/

– Eva Flügel und Lena Mändlen

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