„Der Class Pay Gap ist ein blinder Fleck“ – Interview mit Marcel Fratzscher

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Marcel Fratzscher ist Wissenschaftler, Autor und Kolumnist zu wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Themen. Er ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Im Interview erklärt er, was hinter dem Class Pay Gap steckt, wieso dieser zu wenig Aufmerksamkeit erhält und wie er mit dem Gender Pay Gap zusammenhängt.

Foto: DIW Berlin_Phototek

Was ist der Class Pay Gap?
Der Class Pay Gap entsteht durch die Diskriminierung von Menschen, die wegen ihrer sozialen Herkunft weniger Gehalt erhalten: Personen, deren Eltern keinen akademischen Abschluss haben, erhalten auf Grundlage dieser sozialen Herkunft eine geringere Bezahlung als gleich gut qualifizierte Menschen, die allerdings aus einem Akademiker:innenhaushalt kommen.

Welche Ursachen hat der Class Pay Gap?
Eine wichtige Erklärung für den Class Pay Gap ist, dass Menschen aus einem Arbeiter:innenhaushalt häufig keine Netzwerke haben. Auch hat der Class Pay Gap mit Kommunikation und Selbstdarstellung zu tun: Kinder aus Akademiker:innenhaushalten treten in der Regel selbstbewusster auf, kennen die Sprache, die sozialen Gepflogenheiten und Normen und können dadurch besser verhandeln und sich selbst präsentieren.

Gibt es Zahlen dazu, wie hoch der Class Pay Gap in Deutschland ist?
Es gibt Schätzungen. Ganz verlässliche Zahlen gibt es für Deutschland meines Wissens nicht. Zahlen aus Großbritannien und vergleichbaren Ländern indizieren, dass der Class Pay Gap in Deutschland nicht sehr viel kleiner als der Gender Pay Gap ist. Die verschiedenen Komponenten, die wir kennen und auch international vergleichen können, lassen auf einen Class Pay Gap zwischen 10-15 Prozent schließen.

Können Sie sich erklären, warum der Gender Class Pay Gap dann so geringe Aufmerksamkeit erhält?
Ja und Nein. Ich denke, dies ist ein blinder Fleck, wo mehr getan werden müsste. Der Unterschied bei manchen Merkmalen von Diversität ist, dass sie nicht sichtbar oder nicht auf den ersten Blick sichtbar sind. Ob jemand eine Frau oder ein Mann ist, sehen Sie in den aller meisten Fällen recht einfach. Sie sehen einem Menschen aber meist nicht an, in welchem Haushalt, welcher Familie, welchem Umfeld er aufgewachsen ist. Viel von Identität beruht auf der Frage, ob und wie sehr dieses Privileg oder der Unterschied sichtbar ist. Soziale Herkunft ist nun mal nicht sichtbar.  Manchmal ist das auch mit Scham verbunden. Wenige rufen sofort: Ich bin aus einem Arbeiter:innenhaushalt, das erste Kind, das eine akademische Ausbildung bekommen hat.

Welche Überschneidungen gibt es zwischen Gender Pay Gap und Class Pay Gap?
Sie können zusammenhängen, denn für Frauen aus Familien mit weniger Bildung ist es schwieriger, einen Bildungsabschluss zu bekommen. Allerdings sieht man anhand der Zahlen und der Studien nicht, dass der Class Pay Gap für Frauen höher ist als für Männer. Es gibt viel Interaktion zwischen dem Class Pay Gap und anderen Dimensionen, wie kultureller Herkunft, Religion, Migrationsgeschichte. Diese Verbindungen sind aber sehr komplex. Spezifisch auf das Thema Gender und Class gibt es, soweit ich weiß, keine starke Beziehung, sodass man sagen könnte, dass Frauen da nochmal mehr benachteiligt sind. Ich möchte aber nochmal zurück auf die Netzwerke kommen. Dieser Mechanismus ist relevant, weil Männer generell stärkere Netzwerke als Frauen haben. Wir wissen, dass das eine Erklärung für den Gender Pay Gap ist. Männer suchen sich Männer, die ähnlich sind, das macht es für Frauen schwer. Insofern kann man schon sagen: Für Frauen aus Nicht-Akademiker:innenhaushalten ist es dadurch nochmal ein Stück schwerer.

Inwiefern kann Entgelttransparenz positive Auswirkungen auf den Class Pay Gap haben?
Die Idee vom Entgelttransparenzgesetz ist ja, Transparenz über Gehälter zu schaffen und darüber, wer welche Bezahlung erhält. Das ist in Bezug auf den Class Pay Gap schwierig, weil er nicht sichtbar ist. Aus welcher sozialen Herkunft eine Person kommt wird im Gegensatz zum Geschlecht in Unternehmen nicht erfasst und beruht auf freiwilligen Angaben. Da ist eine sehr schwierige Abwägung zu tätigen, zwischen Schutz der Privatsphäre, Datenschutz und Gehaltstransparenz.

Das betrifft ein bestehendes Arbeitsverhältnis. Würde die Angabe des Gehalts bei Stellenausschreibungen einen Unterschied machen? Wer traut sich nach Gehalt zu fragen?
Das könnte eine Verbesserung sein, weil man nicht so viel dem Verhandlungsgeschick und dem Selbstbewusstsein überlässt, zumindest beim Einstieg nicht. Für das weitere Arbeitsverhältnis hilft dies aber nichts. Studien zum Gender Pay Gap haben wissenschaftlich nachgewiesen, dass die Ergebnisse bei Gehaltsverhandlungen für Frauen schlechter ausfallen als für Männer. Das lässt sich mit einer transparenten Gehaltsangabe für das Einstiegsgehalt nicht adressieren. Aber: Es ist auf jeden Fall eine Verbesserung.

Was kann dazu beitragen, den Class Pay Gap zu verringern?
Die Schwierigkeit ist, soziale Herkunft sichtbar zu machen. Es hilft auf jeden Fall Transparenz über Kriterien der Bezahlung zu schaffen, dazu gehört auch Transparenz hinsichtlich Kriterien für Gehaltserhöhungen oder Boni. Da wird auch niemand bestraft.  Als weißer Mann aus Akademiker:innenhaushalt ohne Migrationsgeschichte, der heterosexuell ist und aus Westdeutschland kommt, hat man gewisse Scheuklappen oder Einstellungen, die einem selbst vielleicht gar nicht so bewusst sind. Es sind häufig blinde Flecken. Diversität ist eine Stärke und hilft jedem Unternehmen. Diversität ist besser als homogene Teams, aber das betrifft eben nicht nur die Frage von Gender, sondern auch jegliche andere Dimension von Vielfalt. Lange Rede kurzer Sinn: Ich würde mir einen breiteren Ansatz über verschiedene Merkmale von Vielfalt wünschen.

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