
Die 4-Tage-Woche ist in aller Munde. Während sie für die einen für mehr Flexibilität, Gesundheit und eine bessere Work-Life-Balance steht, sorgen sich die anderen um die Produktivität von Unternehmen, insbesondere in Anbetracht des Fachkräftemangels. Doch stellt die 4-Tage-Woche eine Möglichkeit dar, den Gender Pay Gap zu verringern? Wir haben mit drei Arbeitgeber:innen über ihre Motivation zur Einführung des jeweiligen Arbeitsmodelles und den Erfolgen gesprochen.
DIE ARBEITGEBERIN: Stadt Wedel
Jörg Amelung ist Fachbereichsleiter Innerer Service bei der Stadt Wedel und zuständig für die Personalplanung und -entwicklung. Im Oktober 2022 ist er auf dem Weg zu einem Treffen mit dem Personalrat, als er im Radio vom Anspruch auf eine 4-Tage-Woche in Belgien hört. Diese Inspiration teilt er im anschließenden Meeting, bei dem es um die Bindung von Beschäftigten und die Gewinnung neuer Mitarbeitenden geht. Seit Juni 2023 bietet nun auch die Kommune in Schleswig-Holstein allen Mitarbeitenden die 4-Tage-Woche an.
Fakten:
- Freiwilliges Angebot für derzeit 443 Mitarbeitende.
- Arbeitszeitverteilung statt Arbeitszeitverkürzung: Die volle wöchentliche Arbeitszeit kann sich auf vier Tage verteilen, da wo es dienstlich möglich und gewollt ist, bei Teilzeitmitarbeitenden auch auf drei Tage.
- Absprachen zu Arbeitstagen und -zeiten erfolgen in den Teams. Es gibt keine Kernarbeitszeit – die Arbeit muss zwischen 6 und 21 Uhr stattfinden.
- Neun Mitarbeitende nehmen das Angebot derzeit wahr.
Statement:
„Arbeitszeitmodelle müssen flexibel gestaltbar sein, damit persönliche Bedürfnisse berücksichtigt werden und Menschen gerne arbeiten. Die 4-Tage-Woche ist einer von vielen weiteren Bausteinen für genau diese Flexibilisierung, von der alle Geschlechter profitieren. Wir verstehen uns als agilen Arbeitgeber, haben für unsere Vorreiter:innenrolle große mediale Aufmerksamkeit erhalten und stehen in regem Austausch mit anderen Kommunen. Das führt auch zu mehr Initiativbewerbungen. Um den direkten Zusammenhang beurteilen zu können, ist es noch zu früh – aber wir haben zum Beispiel eine neue Kollegin, die von der offenen Stellenausschreibung nur las, weil sie wegen der Berichterstattung über die 4-Tage-Woche die Homepage der Stadt Wedel besuchte.“
DIE ARBEITGEBERIN: Die Malerin
Jessica Hansen leitet den Betrieb Die Malerin in Osterby. 2012 hat sich die Mutter dreier Kinder selbstständig gemacht, später noch drei Jahre lang die Abendschule besucht und 2019 mit der Meisterprüfung abgeschlossen. Sie selbst bezeichnet diese Jahre als die härteste Zeit ihres Lebens. Aus eigener Erfahrung weiß Jessica Hansen: Familie, Beruf und Ausbildung unter einen Hut zu bringen ist ein Kraftakt. Gleichzeitig hat sie bewiesen, dass es möglich ist! Diese Möglichkeiten bietet sie auch ihrem Team durch eine flexible Gestaltung ihrer Arbeitszeiten.
Fakten:
- Freiwilliges Angebot für derzeit 18 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
- Flexible Gestaltung von Arbeitszeiten: Die volle wöchentliche Arbeitszeit kann sich auf vier Tage verteilen.
- Kommunikation ist zentral. Alle teilen jeweils 10 Tage vorher ihre gewünschten Arbeitstage und -zeiten mit, die sich von Mo – Do oder von Di – Fr verteilen können.
Statement:
„Vor vielen Jahren lernte ich auf der Baustelle eine ausgebildete Malerin kennen, die als Reinigungskraft arbeitete, da niemand die berufstätige Mutter halbtags einstellen wollte. Also fing sie bei mir als Malerin an. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig flexible Arbeitszeiten insbesondere für Frauen im Handwerk sind. Die größere Umstrukturierung vor eineinhalb Jahren entstand dann aus der Not heraus: Wir hatten nicht genug Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Kundschaft wurde sauer wegen langer Wartezeiten. In Dänemark ermöglichen viele Handwerksbetriebe die 4-Tage-Woche. Nach diesem Vorbild veröffentlichte ich einen Social Media Post – prompt kamen 50 Bewerbungen. Vorteile des neuen Arbeitszeitmodells gibt es viele: höhere Motivation, weniger Kranktage, flachere Hierarchien. Bei uns wird nach übertariflichem Stundenlohn abgerechnet und die Fahrtzeiten sind inkludiert. Der Betrieb profitiert auch: Der Umsatz hat sich gesteigert, wir sind produktiver, die Kunden und Kundinnen haben kürzere Vorlaufzeiten.“
DER ARBEITGEBER: Betterplace lab
Der Think-und-Do-Tank forscht zu Digitalisierung und sozial gerechter Transformation. Seit 2014 arbeitet hier Trendforscher Stephan Peters. Der Experte für New Work und Organisationsentwicklung widmet sich insbesondere der Frage: Wie wollen und können wir arbeiten? Nach einem sechsmonatigen Experiment, in dem die 4-Tage-Woche getestet und regelmäßig evaluiert wurde, hat das Team seit Juli 2023 eine verkürzte Vollzeit bei vollem Lohnausgleich eingeführt.
Fakten:
- 32 Stunden als Vollzeit an 4 Tagen die Woche.
- Keine Kernarbeitszeit, sondern hohe Flexibilität und Selbstbestimmung in der eigenen Arbeitszeitgestaltung.
- Zeitgewinne durch Priorisierung: vormittags arbeiten alle 12 Mitarbeitenden in Stillarbeit, nachmittags können Termine vereinbart werden, Dienstag findet ein Teammeeting statt.
- Der Prozess wird weiterhin durch Umfragen und qualitative Reflexionen begleitet.
Statement:
„Wir leben eine Organisationskultur, in der Neues ausprobiert werden kann, und arbeiten in einer kompetenzbasierten Hierarchie – das heißt, unsere transparenten Entscheidungsprozesse sind in eine selbstorganisierte Arbeitsweise eingebettet. Ohne diese Grundlage wären viele Prozesse wie auch die Gehaltsabstimmung innerhalb des Teams nicht möglich. Wir arbeiten projektbasiert im Non-Profit-Bereich – da gibt es sehr stressige Phasen, wir müssen Ziele klar definieren und Aufgaben priorisieren. Die 4-Tage-Woche kann ein Faktor sein, aber es gibt viele Gründe für Stress. Deshalb ist es wichtig regelmäßig zu fragen: Gibt es Bedarf über die 4-Tage-Woche zu sprechen oder kommt der Stress woanders her? Arbeitszeitreduktion kann eine gerechtigkeitsstiftende Funktion haben. Die meisten bei uns im Team arbeiteten zuvor 40 Stunden und haben durch das neue Modell mehr freie Zeit, zum Beispiel für ihre Familien. Durch die 4-Tage-Woche erhalten die wenigen Personen, die bei uns vorher in Teilzeit gearbeitet haben, nun 20 Prozent mehr Gehalt. So ist die neue Vollzeit für uns finanziell gut zu stemmen.“
Diese Beispiele zeigen: Die 4-Tage-Woche ist eine Möglichkeit, Erwerbsarbeit und Care-Arbeit besser zu vereinbaren und so auch Frauen mehr Stunden in der Erwerbsarbeit zu ermöglichen. Flexibilität ist dabei ein wichtiger Faktor. Ob Verwaltung, Handwerk oder Non Profit Organisation – die 4-Tage-Woche kann eine Möglichkeit sein, nicht nur den Gender Pay Gap zu verringern, sondern auch Fachkräfte zu gewinnen.“
– Eva Flügel