Wir wollen in unserem Podcast darüber sprechen, was passieren muss, damit in Deutschland Frauen und Männer für gleiche und gleichwertige Arbeit endlich auch gleich bezahlt werden.
Wie stellen wir die Weichen auf gerechte Bezahlung in der Arbeitswelt von morgen? Wie schaffen kürzere Arbeitstage gleiche Karrierechancen für Frauen und Männern? Was erfahren wir aus den Drehbüchern für Filme und Serien über unsere Vorstellungen von der Arbeit? Und wie wird IT inklusiv? Das alles wollen und noch viel mehr wir mit diesem Podcast herausfinden.
Wir freuen uns, wenn Ihr Mal reinhört! Garantiert ohne Kater danach!
Alle Folgen hier.
Natascha Heinisch:
Während ich diese Folge aufnehme, herbstelt es draußen schon ganz gewaltig und ich trinke jetzt wieder total gerne Tee und das am allerliebsten aus meiner Lieblingstasse. Die hat an ihrem Henkel ein kleines Krokodil mit einem kleinen Krönchen drauf und immer wenn ich Krönchen anschaue, dann denke ich automatisch auch Prinzessin und schwupps bin ich wieder bei der Frage: Warum sind Frauen eigentlich immer noch so oft Prinzessinnen und keine Königinnen? Und wenn ich dann so auf meine Krokodilkönigin schaue, dann denke ich, wir haben in dieser heutigen Folge zur Kampagnen „Die Kunst der gleichen Bezahlung“ – dazu ist es unsere allererste Folge – da haben wir auch jemand im Gespräch, die auch Königsklasse ist beziehungsweise Königinnenklasse. Also ihr seht, Sprache spielt eine ganz wichtige Rolle. In jedem Fall freue ich mich sehr, dass ich heute Lisa Jopt bei mir begrüßen darf. Herzlich willkommen Lisa, ich freue mich sehr, dass du da bist.
Lisa Jopt:
Vielen Dank für die Einladung.
Natascha Heinisch:
Wir starten heute in eine neue Staffel in die Kampagne 2023, „Die Kunst der gleichen Bezahlung“. Du bist unser erster Gast zu dem Thema. Was muss man denn über dich wissen? Wer bist du? Erzähl doch mal kurz, was du machst und wer du bist.
Lisa Jopt:
Ich bin Schauspielerin von Haus aus. Ich habe studiert in Leipzig an der Hochschule. Ja, Schauspiel, das kann man studieren. Das wissen ja auch nicht immer alle. Und bin aber auch seit anderthalb Jahren die geschäftsführende Präsidentin der GDBA. Das ist die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger. Das ist die Gewerkschaft, die den Tarifvertrag für die Bühnenangestellten verhandelt. Das ist eine der ältesten Gewerkschaften von Deutschland und die älteste Künstler:innen-Gewerkschaft und ich bin jetzt die erste Frau seit 150 Jahren in diesem Amt. Genau, ich glaube, das muss man über mich wissen. Ich habe mein Herz am Theater verloren, bin aber auch dann vom Theater weggegangen und habe mich dem Aktivismus für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen hingegeben und jetzt aktuell stehe ich eigentlich mehr vor der Kamera. Das heißt, ich bin in beiden Bereichen sogar noch tätig, also eine Präsidentin, die auch noch aktive Schauspielerin ist.
Natascha Heinisch:
Du hast auch das ensemble-netzwerk gegründet. Vielleicht kannst du dazu auch noch was sagen. Warum habt ihr das gegründet und mit welchen Themen habt ihr euch beschäftigt?
Lisa Jopt:
2015 saßen meine Kolleginnen Johanna Lücke, die übrigens auch eine Equal Care-Aktivistin ist heute, und ich zusammen an einem Küchentisch. Sie war damals Regieassistentin und ich Schauspielerin in meinem fünften Berufsjahr. Ich hatte da übrigens gerade festgestellt, dass wenn man an ein anderes Theater geht und mehr Berufserfahrung hat, man nicht automatisch mehr Geld verdient, sondern mir wurde weniger angeboten, als in meinem vorherigen Engagement. Das liegt daran, dass wir nicht, wie im öffentlichen Dienst, Gagentabellen, oder die Fachfrau sagt, Entgeltstufen haben. Und das sind so kleine wichtige markante Ungerechtigkeiten, die bei mir dann dazu geführt haben, dass das passiert ist, was dann passiert ist an diesem Küchentisch mit uns beiden. Wir haben angefangen, am Theater in Oldenburg Verbesserungen der Arbeitsbedingungen zusammen zu organisieren, weil wir die Ensemble Besprecherin waren. Dazu gehörte der probenfreie Samstag. Man muss wissen, wir arbeiten von montags bis sonntags eigentlich. Wir arbeiten an Feiertagen. Wir haben jetzt gerade die Forderung aufgestellt, dass der 24. Dezember bitte auch ein Feiertag sein möge bei uns. Es ist ja eigentlich ein Werktag, bis zur Hälfte zumindest. Lange Rede, kurzer Sinn: Wir haben in ziemlich kurzer Zeit durch gute Kommunikation mit unserer Theaterleitung eklatante Verbesserungen der Arbeitsbedingungen erwirken können.
Das fanden wir so faszinierend, dass wir einen Brief an alle Theater in Deutschland geschrieben haben, dass sich bei uns positiv etwas verändert hat durch gute Kommunikation, dass wir auch über unsere Gagen reden, zum Beispiel, passt jetzt ja in diesen Podcast, und genau, dass wir eigentlich Lust haben auf gutes Theater und nicht auf Burnout und ausgebeutet werden. Und das gab einen riesen Backflash und da haben wir dann das ensemble-netzwerk gegründet, sie und ich. Und das ist dann, ja, bis vor anderthalb Jahren war ich im Vorstand des ensemble-netzwerks und habe den Verein dann mit über tausend Mitgliedern verlassen, dann Präsidentin zu werden. Dafür musste ich aber auch übrigens kandidieren und war über ein halbes Jahr im Wahlkampf tatsächlich. Ja, und das ensemble-netzwerk hat angefangen mal mit im Bereich Schauspiel die Arbeitsbedingungen zu verändern, hat dann aber ganz viele weitere Netzwerke bekommen.
Natascha Heinisch:
Genau, das wollte ich gleich als Nächstes sagen. Es gibt ja auch dann die verschiedenen Untergruppierungen zum Thema Regie, zum Thema Dramaturgie, auch Assistierende zum Beispiel, was ich ganz wichtig fand, war, dass die es da eine eigene Gruppe für gibt. Welche Gruppierungen gibt es noch, die man auf dem Film haben müsste?
Lisa Jopt:
Es gibt das BIPOC-netzwerk, es gibt das theaterautor*innen-netzwerk, es gibt das vermittlungs-netzwerk, das sind Theaterpädagog:innen, Theatervermittler:innen, Kunstvermittler:innen. Es gibt das dramaturgie-netzwerk, es gibt das junge ensemble-netzwerk, das die Interessen der Studierenden vertritt. Es gibt das … Oh Gott, jetzt vergesse ich es. Ich bin ja ja gar nicht mehr … Warte mal, Zwei habe ich jetzt vergessen. Das regie-netzwerk hat sich rausgelöst und heißt jetzt Netzwerk Regie und ist ein eigener Verein. Und das siebte Netzwerk muss es mir bitte verzeihen, dass ich jetzt auf den Namen nicht gekommen bin. Auf www.ensemble-netzwerk.de kann man sich darüber informieren.
Natascha Heinisch:
Ich hatte ja vorhin schon gesagt, wir sind die erste Folge der neuen Staffel. Das Kampagnenthema lautet „Die Kunst der gleichen Bezahlung“. Was assoziierst du mit diesem Titel „Die Kunst der gleichen Bezahlung?“ Was löst das in dir aus? Du bist die Erste, die darüber sprechen darf.
Lisa Jopt:
Ja, Wut. Also Wut. Wut und Energie zugleich. Wut kann man ja kanalisieren in Energie und mir gibt das total viel Energie. Ich weiß, es geht die ungleiche Bezahlung im ihren Geschlechtersystem zwischen Männern und Frauen. Mein großes Thema war sogar grundsätzlich die schlechte Bezahlung, weil ich auch mich dafür einsetze, dass Männer mehr verdienen. Wir haben mit einer Mindestgage angefangen von 2000 Euro. Jetzt haben wir eine Einstiegsgage von 2715 Euro. Das ist ein sensationelles Verhandlungsergebnis. Ab nächstem Jahr im September werden wir eine Gage haben für Beschäftigte ab dem dritten Jahr von 2.915 Euro. Das sind dann über 35 Prozent mehr und das hat auch ein bisschen mit der Entwicklung des Mindestlohns zu tun. Ab Oktober 2022 ist Mindestlohn auf 12 Euro gestiegen. Ja, aber nicht nur. Wir haben ein riesengroßes Nachholbedürfnis im Kulturbereich, im Theater sowieso. Der Gender Pay Gap ist bei uns größer, also als bundesweit. Wir haben 20 Prozent ungefähr und Theater laut der Studie des Deutschen Kulturrats bei den Angestellten 6%. Hört sich nicht so viel an, aber jedes Prozent ist ein Prozent zu viel in diesem Bereich. Ich hatte nie Geld, als ich durchgearbeitet habe am Theater. Ich dachte, ich wäre selber daran schuld.
Ich konnte übrigens immer sehr gut Gage verhandeln, muss ich sagen. Aber uns wurde immer gesagt, es gibt nicht so viel zu holen. Und ich glaube, man muss aufhören, das zu glauben, dass nicht so viel zu holen ist. Wenn man nicht danach fragt und nicht immer, immer, immer wieder danach fragt, dann gibt einem von sich heraus auch keiner mehr Geld. Also ich unterrichte mitunter an Schauspielschulen oder habe früher unterrichtet, wie man seine Gage verhandelt. Und da gibt es viele tolle Tipps, die man beachten kann, um sich ordentlich einzuordnen. Und vielleicht ist das – weil darum soll es ja, glaube ich, heute auch gehen – der Grund, warum gibt es diesen Gender Pay Gap denn im Kulturbereich? Abgesehen davon, dass der Kulturbereich unterfinanziert ist? Es gibt ihn auch, weil Frauen sich häufig nicht so trauen, strenger zu verhandeln. Weil, wenn einer dir gegenübersitzt und sagt: „Ich hab nicht so viel Geld, Lisa. Woher soll ich das denn nehmen? Oder möchtest du, dass wir eine Theaterproduktion weniger im Jahr machen?“ Und dann rattert es bei mir: Eine Theaterproduktion weniger. Das bedeutet, eine Regiegage weniger, vielleicht für eine tolle Regisseurin, für eine Bühnen- und Kostümbildnerin, eine Ausstattungsgage weniger, eine Kostümgage weniger, Theatermusikerinnengage weniger.
Oh Gott, dann bin ich ja schuld, wenn andere nicht arbeiten können. Und dann bin ich ja schuld, wenn das kulturelle Angebot an meinem Theater kleiner wird. Und das ist einfach, was wir von uns weisen müssen, dass wir die Verursacher von Geldmangel sind, nur weil wir nach angemessenen Gagen oder Löhnen fragen. Also gerade wir Frauen.
Natascha Heinisch:
Was antwortet man stattdessen darauf oder was lehrst du in den Gehaltsverhandlungen, wenn jemand sagt, so dieses Totschlagargument: „Es ist, ich habe jetzt noch kein Geld da, ich würde ja gerne, aber ich kann dir nicht mehr geben.“ Wie reagiert man da drauf?
Lisa Jopt:
„Ja, das verstehe ich. Guck doch noch mal nach. Sei doch so gut und informiere den Stadtrat darüber, dass an diesem Theater keine angemessenen Gagen bezahlt werden können. Ich bin Schauspielerin, ich habe ein Hochschulstudium.“ Die Argumentation gilt auch für Menschen, die auf privaten Schulen waren, weil auch die einen Abschluss haben. Und es gilt auch für Menschen mit vergleichbaren Tätigkeiten oder Verantwortungen übrigens. Und deswegen müsste ich eigentlich im Vergleich des öffentlichen Dienstes mindestens bei Entgeltgruppe neun eingruppiert werden. Wenn man nämlich mal guckt auf die, wirklich, das ist eine ästhetische Zumutung, die Seite, ja, das weiß ich, aber die Fakten, die da drauf sind, die sind wirklich gut. Das heißt öffentlicherdienst.info. Und dort kann man sehen, was im öffentlichen Dienst andere Menschen verdienen. Und dann können wir mal gucken, wo sind Leute mit Hochschulabschluss einsortiert und die verdienen aktuell über 3.000 Euro, und zwar im ersten Berufsjahr, nicht im neunten oder so. Genau. Und das sind Sachen, die man einfach empfehlen kann, sich zu vergleichen mit anderen Berufen. Und dann würde ich sagen, dass es gut wäre, einen Stadtrat, einen Kulturausschuss, einen Verwaltungsrat darüber zu informieren, dass das Theater nicht in der Lage ist, angemessene Gagen zu bezahlen.
Das Theater Bremer hat das zum Beispiel gemacht und hat dort in Kooperation mit der Stadt für zwei Jahre die Gagen in einem System nach oben gestuft, wo die Mindestgage zum Beispiel für Opernsänger:innen oder auch Schauspieler:innen, Tänzer:innen bei 3.000 Euro losgeht. Losgeht im ersten Jahr. Das heißt, es ist möglich. Und das würde ich dann antworten. Also kurz gesagt: „Du musst mir das Geld nicht geben, du sollst es holen und dann verteilen.“
Natascha Heinisch:
Genau, also wie du schon gesagt hast, sich nicht damit abspeisen lassen, sondern sagen: „Ja, okay, kann sein“, aber trotzdem den Weg weitergehen und nicht in diese Schuldschiene, wie du gesagt hast. Sonst bin ich dann auch noch dafür verantwortlich, dass eine andere Frau dann vielleicht gar nicht arbeiten kann, nur weil ich so viel haben wollte, was mir in Anführungszeichen ja „gar nicht zusteht“.
Lisa Jopt:
Genau. Willst du Teil der Lösung sein und eine Intendantin oder ein Intendant sein? Wir haben immer noch mehr Intendanten in Deutschland als Intendantinnen oder auch :innen. Möchtest du Teil der Lösung sein, oder möchtest du Teil des Problems sein? Möchtest du deine Hand schützend über dieses marode System halten oder möchtest du mit einem Reformgeist sagen: Nein, an meinem Theater, während meiner Amtszeit, bin ich dafür verantwortlich, dass hier angemessene Gagen bezahlt werden?
Natascha Heinisch:
Jetzt hast du es mit dem Stichwort Intendantinnen, also Frauen schon genannt. Ich würde gerne auch ein bisschen über Frauen in Führungspositionen sprechen. Du bist ja jetzt auch Präsidentin, eine Frau in einer Führungsposition und hast gerade auch gesagt, es gibt sehr viel mehr Intendanten als Intendantinnen. Wie erlebst du denn Frauen in der Führung? Was hättest du dir vielleicht gewünscht, auch auf deinem Weg in eine Führungsposition hin?
Lisa Jopt:
Was hätte ich mir gewünscht? Um vielleicht nur mal ganz kurz über meine Position zu sprechen, da ich bin ja keine Intendantin. Ich bin eine von den Mitgliedern gewählte Vertreterin der Gewerkschaft und in diese Position zu kommen ist also ein demokratischer Weg gewesen. Die meisten Intendant:innen haben keinen demokratischen Weg, wenige Stellen sind ausgeschrieben. Das passiert mitunter immer noch auf Entscheidungen einzelner Kultursenator:innen zum Beispiel oder von Findungskommissionen, die nicht bekannt sind. Das ist schon mal ein riesengroßer Unterschied. Und ich werde mich ja dann auch von meinen politischen Ergebnissen messen lassen müssen, also durch die Mitglieder. Was hätte ich mir gewünscht? Na ja, weniger Steine in den Weg. Es ist sehr ungewöhnlich als erste Frau in diesem Amt, die dann auch noch Schauspielerin ist, in dieser Doppelfunktion unterwegs zu sein. Ich habe ein paar Wochen, nachdem ich gewählt wurde, erfahren, dass ich schwanger bin und bin also direkt nach einem halben Jahr habe ich mich verabschiedet und habe ein Baby bekommen. Jetzt gerade bin ich Teilzeit in Elternzeit. Ich habe böse E-Mails bekommen. Als mein Baby, glaube ich, drei, vier Monate alt war, hatten wir unseren großen, ich sage mal in Anführungszeichen Parteitag, also unseren Genossenschaftstag, da setzen wir die Gewerkschaft politisch aufs Gleis, da werden Entscheidungen getroffen, Abstimmungen gemacht. Da ist unsere Mitgliederversammlung. Das ist also das Ding. Und da hatte ich das Baby dabei und habe das gestillt und genau danach eine böse Mail bekommen, ich solle nicht drehen gehen, weil ich da auch eine Serie gedreht habe; ich solle mich lieber mein Kind kümmern; ich würde mein Kind nur stillen, damit man mich nicht angreifen könnte, politisch auf der Veranstaltung und so. Also das ist eigentlich die Antwort. Ich hätte mir gewünscht, dass man mich nicht so angreift. Meine Wahl wurde auch angefochten von zwei Personen – surprise, es waren Männer – als ich ins Amt gekommen bin und ich hätte mir gewünscht, dass man es mir einfacher gemacht hätte.
Natascha Heinisch:
Ganz perfide irgendwie. Einerseits dieses Jahr, du hast ein kleines Kind, kümmere dich mal besser dein Kind und geh nach Hause und gleichzeitig: Du benutzt dein Kind als Schutzschild, damit man mit dir nicht umgeht, wie mit jemand, der kein Kind hat.
Lisa Jopt:
Ja, ja, ja. Also wie man es macht, macht man es verkehrt, ne? Genau, ja. Aber ja, da hilft einfach nur, es trotzdem tun. Ich habe ein tolles Netzwerk aus Beraterinnen, die mir immer wieder zum richtigen Zeitpunkt Power Talks verpassen, weil es gibt die Momente, wo man müde ist oder wo man sich ungeschützt fühlt und da habe ich eigentlich ein gutes Netzwerk mich herum aufgebaut. Das kann ich auch nur jeder Frau empfehlen. Also, noch mal auf den Gender Pay Gap zurückzukommen, bedeutet das, bevor du eine Gehaltsverhandlung oder Gagenverhandlung im Kulturbereich hast, ruf deine Kolleginnen an und fang an, über Geld zu sprechen und überleg auch wirklich mit einem Zettel und einem Stift, was kosten die Dinge, wenn sie, abgesehen von dem Honorar oder der Bruttogage, die du bekommst. Also die Fahrten da zum Arbeitsort hin. Die wenigsten von uns im Kulturbereich arbeiten nämlich dort, wo sie leben. Was kostet in meinem Fall, wenn ich mal aus dem Nähkästchen plaudere, ist es gerade ganz schön teuer, Präsidentin in Teilzeit zu sein, weil ich den Tarifverhandlungen mein Baby mitnehmen muss, da das nachts noch gestillt wird, kann ich über Nacht nicht weg sein. Mein Mann muss mit. Ich muss jetzt bei der Gewerkschaft fragen: Würdet ihr bitte die Kosten übernehmen, die mein Mann verursacht, wenn der auch im Hotel schläft, wenn der auch mit Frühstückt morgens, wenn der Zug Hin- und Rückfahrt braucht.
Also aktuell, von meiner Teilzeitgage, ist das eine totale finanzielle Belastung.
Natascha Heinisch:
Genau, das bringt mich auch super zu meiner nächsten Frage mit der Kinderbetreuung. Du bist Schauspielerin, du bist Präsidentin und du bist Mutter. Vielleicht aus deiner Erfahrung, aber auch aus deinem Umfeld: Die Vereinbarkeit von Familie und einem künstlerischen Beruf, wie kann die, abgesehen von dem guten Netzwerk, dass man sich selber schafft, funktionieren und wo sind neben Abendproben, Wochenend- die größten Probleme und Hindernisse?
Lisa Jopt:
Also die Betreuungskosten sind ein großer Punkt. Der wird teilweise werden die Betreuungskosten … Also in verschiedenen Städten gibt es Modelle zur Kostenübernahme. Da muss aber das Theater sich mit hinter klemmen. Ich finde immer das Argument, du kannst es ja hinterher von der Steuer setzen, so ein bisschen lame, weil du kannst nie 100% Dinge… du kriegst die nicht zurück, brutto für brutto. Den Payback gibt es so nicht. Wir können ja unsere Kinder nicht abends mit ins Theater nehmen. Die müssen in ihrem eigenen Schnüffelbettchen schlafen, das heißt, das ist ein großes Thema. Das andere Thema, das ich jetzt auch selber festgestellt habe und mein Mann auch feststellt, weil wir 50/50 natürlich versuchen, ist, dass wenn du so ein Baby hast – unser Baby ist jetzt neun Monate alt – das schrottet dir ja mitunter auch mal deine Festplatte, weil das halt Bedürfnisse hat, die aufwendig sind. Zum Beispiel manchmal nur schlafen können, weil man im Stehen wippt. Das ist halt manchmal so. Oder weil es einfach die ganze Zeit maunzt ist, weil es ein Zähnchen kriegt. Und dann musst du ja trotzdem performen in deinem Job oder in deinem … Mein Mann zum Beispiel, der arbeitet und der studiert auch noch parallel.
Und da musst du dann fit und präsent sein. Das ist, glaube ich, auch eine Herausforderung, die, glaube ich, auch zur Diskussion steht. Was kann man tun? Netzwerken, darüber sprechen und die eigene Schamgrenze überwinden, andere Leute Hilfe zu bitten. Also es ist einfach Quatsch, dass Kindererziehung allein Eltern-Sache ist und vielleicht auch loslassen. Also jede Betreuerin, jede Omi, jeder Opi hat seinen eigenen Style, ihren eigenen Style, Kinder zu betreuen und die dann auch gewahren zu lassen. Vielleicht kann ich ja noch ergänzen für die Frauen, die auch im Film- und Fernseh-Bereich tätig sind, wenn die schwanger sind, da fragt man sich oft: Darf ich das eigentlich sagen, dass ich schwanger bin? Weil es gibt ein Arbeitsschutzgesetz, dass Frauen, die schwanger sind, nach 20 Uhr nicht arbeiten dürfen. Und beim Drehen kommt man aber häufig mal nach 20 Uhr. Ich würde tatsächlich empfehlen, offen mit den Sendern oder Produzent:innen zu kommunizieren: Ich bin schwanger und ihr nehmt mir jetzt bitte nicht diesen Drehtag weg, weil ich brauche das, hinterher mein Elterngeld berechnen zu lassen Und wenn ihr mir das jetzt wegnimmt, dann fehlt mir auch aktuelles Material, auf dem Markt präsent zu sein. Also bitte seid auch ihr Teil der Lösung und lasst mir diese Rolle.
Ich habe schwanger auch gedreht. Da haben sie meinen Bauch unterm Dirndl versteckt. Das passte jetzt zufällig gut. Ich hätte mich aber tatsächlich dafür eingesetzt, schwanger, also hätte ich mir die Rolle nicht wegnehmen lassen wollen. Aber es ist noch ungewöhnlich. Machen wir uns nichts vor. Es ist ungewöhnlich, am Set zu erzählen, ich bin übrigens schwanger, auch wenn man es zum Beispiel noch nicht sieht oder so. Aber trotzdem kann ich aus Erfahrung sagen, dass man sehr viele Glückwünsche bekommt und auch wenn Leute so „Huch, überrascht mich jetzt!“, genau, die meisten freuen sich darüber und haben das auch als Mehrwert empfunden und wollen dann ganz viel wissen.
Natascha Heinisch:
Im Bereich Theater, Schauspiel ist eines der großen Themen ja auch immer Rollenstereotype und auch die Anzahl von interessanten Rollen, die es für Männer und für Frauen gibt. Kannst du da vielleicht doch was zu sagen auch, wie sich Rollenklischees bei Casting-Prozessen zum Beispiel, auch vielleicht inwieweit sich das hoffentlich schon ein bisschen verändert hat, wie da gerade so die Lage ist?
Lisa Jopt:
Also am Theater ist das so, dass die historische Literatur, die dort gespielt wird, die wurde ja vor achtunddrölfzig Jahren von Männern geschrieben, von Männern, die aus Männerperspektiven, aus weißen Perspektiven, eurozentristischen Perspektiven geschrieben haben. Und diesen literarischen Kanon auf die Bühne zu bringen, wo sich das Theater oder das Schauspiel oder auch die Oper zu verpflichtet sieht, auch das als kulturelle Bildung weiterhin am Leben zu halten, bringt die Dramaturg:innen, die Theatermacher:innen, ganz schön ins Schwitzen, diesen Spagat auszuhalten, den Stoff in die Moderne zu übertragen, der in ganz anderen Kontexten mal entworfen wurde. Zum Beispiel wurden an Schauspielschulen lange Zeit mehr Männer als Frauen genommen, weil es mehr Männerrollen gab als Frauenrollen. So wo ich informiert bin, hat sich das, glaube ich, mittlerweile erledigt. Auch die Interpretation, die modernen Zugriff von Regiehandschriften auf Stoffe, das wird aufgebrochen. Die Theater, denen ich bei Social Media folge oder so, oder… ich kann ja nicht überall in Deutschland ins Theater gehen – da würde ich mal behaupten, dass die Debatte sehr weit fortgeschritten ist und dass es diese Art von Stereotypendarstellungen immer seltener gibt. Warum? Weil die Ensemblemitglieder diskursfester geworden sind. Dadurch, dass das Thema so viel besprochen wurde, gibt es eine ganz andere Awareness.
Und wenn ich mir die jungen Studierenden heute angucke, dann sind die schon Lichtjahre weiter, zu der Zeit, als ich noch fest am Theater war. Ich habe 2019 mein letztes Engagement verlassen. Also ja, das gibt es: stereotype Rollen. Die Rollen für Frauen ab 40 werden dünn, aber es gibt auch neue Herangehensweisen, Stoffe aufzubrechen, Figuren aufzubrechen und die Besetzungen aufzubrechen. Unser Thema am Theater ist aktuell, würde ich eher sagen, was noch drängender ist, ist Diversität auf die Bühne zu bringen. Menschen mit Behinderungen, Women of Color, People of Color, Trans-Menschen. Das sind Sachen, wo noch, sage ich mal, der Nachwuchs erst mal durch die Institutionen, Schauspielschulen, Kunsthochschulen als Beispiel, Kunsthochschulen als Beispiel, muss, dann an den Theatern zu landen. Also das würde ich als eines der größten Change-Themen mit identifizieren wollen.
Natascha Heinisch:
Wie können denn die Zuschauerinnen und Zuschauer eines Theaters, wie können die denn mithelfen, darauf auch Einfluss zu nehmen?
Lisa Jopt:
Leserbriefe: „Es ist eine Unverschämtheit, dass sie keine Frau haben, die 65 oder 75 Jahre alt ist und ich sehe hier nur junge Leute auf der Bühne und ich sehe zu viele Männer und ich sehe zu viele weiße Frauen und ich sehe zu viele unbehinderte Menschen. Das ist eine Unverschämtheit. Was bilden Sie sich ein, der Spiegel der Gesellschaft sein zu wollen?“
Natascha Heinisch:
Ja, ich habe tatsächlich neulich mal drüber nachgedacht. Also ich mache nur amateur-mäßig Theater, aber mit den Rollen und so für ältere Damen, also Mutter Courage, würde mir jetzt einfallen. Neulich habe ich gedacht, so eine juicy Rolle wäre vielleicht hier die Nurse Ratched aus Einer Flog über das Kuckucksnest. Aber es fallen mir selber auch viel mehr spannende Sachen ein, so an Männerrollen. Aber wie du gesagt hast, mittlerweile ist das auch gar nicht mehr. Es wird aufgebrochen und es wird besetzt mit dem Geschlecht, das die Rolle am besten interpretiert hat in dem Fall dann.
Lisa Jopt:
Ja, mit Personality, also mit Menschen, weil auch in der Diversitätsdiskussion möchten Menschen nicht aufgrund ihrer äußerlichen Merkmale besetzt werden, sondern aufgrund ihrer Qualität, ihrer künstlerischen inhaltlichen Qualität.
Natascha Heinisch:
Ziel unserer neuen Kampagne ist auch, allgemein so die Sichtbarkeit zu erhöhen von Künstlerinnen. Deswegen würde mich interessieren, was hast du denn für Tipps, zum Beispiel dein Lieblingssong von einer weiblichen Sängerin. Song oder auch überhaupt eine Empfehlung, die du hast an weiblichen Künstlerinnen, sei es Film, sei es Musik. Jemand, den du sagst – die, Entschuldigung – DIE sollte die Welt mehr kennen.
Lisa Jopt:
Ja, Genau, mein Lieblingslid, mein aktuelles, ist „Juice“ von Lizzo. Und dann empfehle ich den Song von Fuffifufzig „Ciao Amore Mio“, eine junge Berliner Künstlerin.
Natascha Heinisch:
Hast du auch ein vielleicht weniger bekanntes Theaterstück mit einer ganz großartigen Frauenrolle, von dem du sagst, das sollten Theater mehr spielen? Oder wenn ihr das bei euch in der Stadt sehen könnt, dann schaut es unbedingt an?
Lisa Jopt:
Also ich habe die meine größte Rolle haben mein Kollektiv und ich mir selber geschrieben. Da spiele ich „Loli Jackson auf der Suche nach dem Sinn von Allem“, eine verzweifelte Affenagentin, die versucht, Affen zu vermitteln, aber da kann ich aber jetzt nicht weiter drauf eingehen. Also mir fällt tatsächlich, da ich zum Stückelesen nicht komme, weil ich durch mein Amt völlig ausgefüllt bin, fällt mir da einfach nur der absolute Klassiker Pentesilea ein, ein Stück über eine zum Wahnsinn liebende, bis sie am Ende ihren Kontrahenten zerfleischt, sogar Amazone.
Natascha Heinisch:
Die Amazonenkönigin ist sie, ne?
Lisa Jopt:
Die Amazonenkönigin, genau, genau, die sich einen blutigen Kampf mit Achilles auf dem Schlachtfeld liefert und das ist für mich ein archaischer Stoff und eine Rolle, das ist der Wahnsinn von Kleist. Also hat ein Mann geschrieben, ja, muss ich leider sagen, aber diese Pentesilea, die hat für mich an Faszination nie verloren, wobei ich natürlich auch Woyzeck über alles liebe und das ist eine Rolle, die auch durchaus von Frauen gespielt wird.
Natascha Heinisch:
Dann die Frage, die wir all unseren Gästen in diesem Podcast stellen, zu der jetzt auch unser wundervoller Einspieler kommt. Was bringt dich aktuell zum Fauchen? Und was bringt dich zum Schnurren beim Thema equal pay?
Lisa Jopt:
Es bringt mich zum Schnurren, dass ich endlich den Tarifvertrag für die Theaterbeschäftigten selber verhandeln darf mit meinem Team. Das macht mich richtig glücklich, weil ich da kämpfen kann für gerechte Bezahlung. Und zum Fauchen bringt mich das falsche Narrativ, dass Künstler:innen selber schuld sind, dass die Kultur unterfinanziert ist, nur weil sie gerechte Bezahlung bitten oder danach fragen.
Natascha Heinisch:
Schade, dass wir kein Bild haben zu diesem Podcast, weil man sieht auch, wie du dafür brennst.
Das ist echt der Wahnsinn. Hast du noch was, wo du sagst, „Das möchte ich noch loswerden? Oder das ist mir ganz wichtig, das will ich auf jeden Fall noch gesagt haben?
Lisa Jopt:
Ja. Immer mit einem Zettel und einem Stift verhandeln. Sich auf eine Gehaltsverhandlung, Gagenverhandlung immer vorbereiten. Was sind meine Qualitäten? Wie lange bin ich im Beruf? Was für Kompetenzen habe ich vorzuweisen? Welche Institutionen sind in meiner Biografie? Alles diese faktischen Dinge, die man wirklich schwarz auf weiß mit einem Stift auf einem Zettel schreiben kann, die den eigenen Mehrwert benennen und das nicht sofort abfeuern als Rechtfertigung „Ich bin doch was wert“, sondern das in einer Verhandlung wie beim Schachspiel peu à peu servieren. Das ist mein Tipp. Plus nicht eine Gehalts- oder Gagenverhandlung am Telefon machen, weil schnell man angerufen wird, hetz hetz und man traut sich nicht, aufzulegen, sondern Profis machen einen Termin für solche wichtige Vertragsgegenstände. Und wer nicht weiter weiß, der ruft einfach bei uns an, bei der Gewerkschaft. Dafür sind wir da.
Natascha Heinisch:
Ein sehr schönes Abschlusswort: Falls ihr Fragen habt, könnt ihr euch sehr gerne an uns wenden unter info@equalpayday.de und wie immer könnt ihr uns sehr gerne folgen auf den sozialen Medien unter dem Hashtag epd. Ich sage vielen, vielen Dank, Lisa. Es war ein Wahnsinnsgespräch. Ich habe mich sehr gefreut, dass du da warst. Vielen, vielen Dank und an euch bis zum nächsten Mal.
Lisa Jopt:
Vielen Dank. Vielen Dank.