Podcats – der Podcast zu equal pay Folge 25 – Feminist Shelf Control: Annika Brockschmidt & Rebekka Endler

Natascha Heinisch:

Vor vielen, vielen Jahren, als ich in Holland im Praktikum war, habe ich bei einem spanischen Kollegen ein Buch gesehen, das damals, glaube ich, sehr viele gelesen haben. Und zwar war das die spanische Ausgabe des Romans, der in Deutschland unter dem Namen „Verblendung“ erschienen ist. Ich glaube, ich wusste damals auch, dass die englische Version „The Girl with the Dragon Tattoo“ heißt. Aber ich habe mich direkt ein bisschen über den spanischen Titel lustig gemacht: „Los hombres que no amaban a las mujeres“… ha ha, „Die Männer, die Frauen nicht mochten“, was soll denn das für ein Titel sein? Tja, ätschibätsch, da war ich ziemlich ignorant, denn der schwedische Titel heißt wörtlich zu Deutsch „Männer, die Frauen hassen“. Sprich, der spanische Titel ist im Gegensatz zur Ein-Wort-Titel-Manie, die man ja bei deutschen Titeln öfter mal findet, sehr viel näher dran am Original. Heute geht es nicht ganz direkt um Männer, die Frauen nicht mögen, aber es wird unter anderem die Abwertung weiblicher Arbeit zum Beispiel gehen.

Und ihr werdet sehen, wie es sich an vielen Stellen lohnt, mal genauer hinzuschauen, also nicht so wie mein jüngeres ich, das damals ignoranterweise gemacht hat. Ich spreche heute mit Rebekka Endler und Annika Brockschmidt, beide veröffentlichte Autorinnen und Hosts des wunderbaren Podcasts „Feminist Shelf Control“.

Hallo Annika, Hallo Rebekah. Schön, dass ihr da seid.

Annika Brockschmidt:

Hallo.

Rebekka Endler:

Hallo, Natascha. Danke für die Einladung.

Natascha Heinisch:

Ich habe euch gefunden über euren wundervollen Podcast „Feminist Shelf Control“ und damit würde ich gerne anfangen. Wie ist der denn entstanden? Wie habt ihr euch gefunden?

Annika Brockschmidt:

Wir haben uns, glaube ich, tatsächlich noch über Twitter, als es noch Twitter war, gefunden. Und zwar, ich glaube, ich hatte ein Bild gepostet von einem Buch aus einer MAGA hat Romance-Novel-Reihe, was ich aus Recherchezwecken lesen musste, namens „Ladies First“. Und dann habe ich irgendwie gesagt, ich muss das lesen, aber es wird sehr schrecklich. Und dann hat mir Rebekka geschrieben und hat gesagt, ich würde das mit dir lesen. Und ich glaube, ich dachte am Anfang, dass das ein Witz ist und dann hat mir Rebekka aber gesagt, nein, nein, ich habe das schon bestellt, das ist jetzt auf dem Weg zu mir. Und dann hatten wir aber – wir kannten uns vorher gar nicht – und dann haben wir so ein bisschen hin und her geschrieben und haben uns dann eigentlich auch so halb im Spaß überlegt, na ja, wenn wir darüber reden, es wird ja bestimmt interessant. Das könnte man ja eigentlich genauso gut gleich aufnehmen, weil das wollen wir der Öffentlichkeit nicht vorenthalten.

Rebekka Endler:

Nee, das war die Idee der Leute unten drunter,

Annika Brockschmidt:
Oh stimmt!

Rebekka Endler:
Als ich dann gesagt habe, ich lese das auch, dann waren die so: Ja, dann müsst ihr es auch aufnehmen!

Natascha Heinisch:
Wir wollen dabei sein!

Rebekka Endler:
Zu dem Zeitpunkt hatten wir noch kein einziges Mal miteinander gesprochen.

Annika Brockschmidt:
Noch nie.

Rebekka Endler:
Nein, noch nie. Wir haben dann am Tag der Aufnahme – wir haben uns dann irgendwann verabredet – und am Tag der Aufnahme, so eine Viertelstunde vorher dann zum ersten Mal miteinander telefoniert, weil wir dann gedacht haben, vielleicht müssen wir kurz mal besprechen, wie wir das denn eigentlich machen wollen. Und dann weiß ich noch, Annika hat mir ihre Nummer geschickt. Ich habe angerufen und als erstes habe ich nur ein großes Niesen gehört.

Annika Brockschmidt:
Da war der Ton gesetzt. 

Rebekka Endler:
Ja mittlerweile, da kenne ich ja auch ihren Hund, der niest immer vor Aufregung und anscheinend Annika auch. Und dann war das lustigerweise am 30. oder 31. März und dann haben wir das über Nacht geschnitten und am 1. April hochgeladen und dann haben die Leute gedacht, das sei ein April-Scherz. Wir meinten das aber sehr ernst.

Annika Brockschmidt:
Sehr ernst!

Rebekka Endler:
Man merkt auch, wenn man die erste Folge hört … Wir haben so lange gesprochen, dass wir dachten, OK, das sind jetzt zwei Folgen und die erste Folge ist auch ohne Intro, ohne gar nichts. Und dann haben wir gedacht, ey komm, wir machen es jetzt richtig. Und dann habe ich einen Freund angerufen und meinte, du musst uns jetzt ein Intro machen. Und dann hat er gesagt, ja, worum geht es? Und ich so, ich weiß nicht genau, aber ich glaube, wir werden jetzt Romance Novels lesen. Und dann hat er mir auch eine halbe Stunde später so dieses fertige Intro geschickt.

Annika Brockschmidt:

Das war extrem schnell.

Rebekka Endler:

Es war alles mit der heißen Nadel und komplett improvisiert, aber eigentlich dadurch, dass wir uns vorher nicht so viele Gedanken über mein Konzept gemacht haben, ich glaube, das ist auch der Grund, warum das tatsächlich funktioniert hat, weil wir keinerlei Erwartungen hatten. Wir hatten keinerlei Konzept, es waren nur Vibes und dieses fürchterliche Buch. Und dadurch war es jetzt auch nicht so schwer, wenn keine Erwartungen da sind, diese dann zu übertreffen. Und dann hat das einfach auch so viel Spaß gemacht, weil das war dann voll der Jackpot, weil Annika und ich, die wir uns nicht kannten, dann währenddessen uns kennengelernt haben und dadurch, dass es Romance Novel ist und man recht schnell auch über extrem intime Dinge spricht … Wir leben ja immer noch in einer Gesellschaft, wo viele Themen rund Sexualität mit so einem Tabu behaftet sind, haben wir im Schnelldurchlauf mehrere Level an Intimitäten miteinander übersprungen und uns auch darin gesucht und gleichzeitig von der anderen jeweils auch gut aufgehoben gefühlt, dass daraus auch wirklich mit einem Turbo auch so eine sehr enge Freundschaft dann geworden ist.

Natascha Heinisch:

Wollte grad sagen, ihr habt voll gematcht, weil wenn ihr euch vorher gar nicht gekannt habt, – es hätte ja auch sein können, ihr sitzt da zusammen und …

Annika Brockschmidt:

Es hätte auch zur absoluten awkwarden Katastrophe werden können, worüber ich irgendwie gar nicht nachgedacht habe. Ich bin irgendwie von Anfang an davon ausgegangen, das wird sehr gut werden. Und so war es dann auch. Es ist eine Geschichte des alten Twitter kann man nur sagen.

Natascha Heinisch:

Eine schöne Geschichte des alten Twitters. Also angefangen hat es mit Romance Novels. Ich kann es leider nicht so schön nachmachen, aber ihr macht nicht nur Romance Novels. Ich habe euch gefunden, weil ich gedacht habe, ach, es gibt bestimmt irgendjemand, der über „Selling Sunset“ redet. Ich gucke mal und habe mich dann „Oh mein Gott, das sind zwei Folgen und sie sind unglaublich lang!“ und war unglaublich glücklich, dass ich diese Folgen gefunden habe. Für diejenigen von euch draußen, die nicht wissen, was „Selling Sunset“ ist, das ist eine Netflix-Doku, die 2019 gestartet ist, mittlerweile in der achten Staffel läuft, wo eine Gruppe immer mal wieder wechselnder, sehr schlanker, sehr normschöner, sehr fashionabler Maklerinnen, die für ein Maklerbüro arbeiten, das sich Oppenheim Group nennt, die in LA sitzt und die verkaufen da krasse Luxusimmobilien und alles ist – deswegen hat es mir so gefallen – sehr hochglanzpoliert, sehr schöne Drohneneinstellungen, sehr schöne … Alles ist da irgendwie schön und ich habe mich da hingesetzt, mein Gehirn ausgeschaltet und fand es so ganz … ich muss nicht nachdenken, es hat mich unglaublich glücklich gemacht, aber wenn man so wie ihr nicht nur an der Oberfläche von dieser Serie kratzt, sondern die dann kleinteilig seziert, dann kann man da sehr, sehr, sehr viel drin finden, was über diesen schönen Schein hinausgeht. Und für die, die sich gefragt haben, was hat denn das jetzt mit equal pay, was hat das mit der Equal Pay Day Kampagne zu tun, würde ich gerne damit einsteigen: das Frauenbild oder die klischeehaft weiblichen Aufgaben, die Beziehungen der Maklerinnen zu ihren zwei Chefs, was in diesem großen Blumenstrauß, sage ich mal, dieser Serie so alles drin ist. Ihr dürft euch aussuchen, wo ihr gerne anfangen wollt, was eure hässlichste Blume oder eure schönste Blume dieses Straußes ist.

Annika Brockschmidt:

Also „Selling Sunset“ ist ja tatsächlich – ich glaube, wir haben das auch im Podcast so benannt – so was wie Zuckerwatte fürs Gehirn, hatte ich immer das Gefühl. Man hat das Gefühl, man kann sich berieseln lassen, aber gleichzeitig steckt eben auch wahnsinnig viel jenseits dieser glossy Produktion dahinter. Und ich glaube, das, was mir zumindest am meisten aufgefallen ist, ist die Art und Weise, wie Gender performt wird in diesem Maklerbüro. Also die Chefs sind die Oppenheim-Zwillinge, von denen zumindest einer – ich vergesse jetzt, wer von beiden es ist, aber ich kann sie auch nicht auseinanderhalten – beispielsweise eine ganze Reihe von Ex-Freundinnen und ihm Untergebene hat…

Natascha Heinisch:
Jason.

Annika Brockschmidt:
Jason, danke.
… die da arbeiten. Also HR scheint jetzt nicht so vorhanden zu sein. Das ist das Erste. Und gleichzeitig ist eben die Rolle dieser super fashionablen, glitzy Frauen, die irgendwie wie so … Ja, manchmal hat das … Ich hatte das Gefühl, manchmal hat das so was von wie so prähistorischen Vögeln in Couture, die da diese super teuren Wohnungen verkaufen, ist einerseits eine Parallelwelt, andererseits ist es aber auch quasi wie unter dem Brennglas eine Performance von Weiblichkeit, die natürlich auch sehr auf LA zugeschnitten ist, auch vom ganzen Look her. Aber gleichzeitig spielt auch Lokalpolitik eine große Rolle. Es gibt eine ganze Staffel, wo man den Eindruck bekommen könnte, die sogenannte Mansion Tax, also eine extra Steuer auf besonders absurde Luxusimmobilien, sei also das Schlimmste, was Los Angeles je hätte passieren können. Und das war, glaube ich, einer der Gründe, warum ich es so faszinierend fand, weil es ist einerseits sehr oberflächlich, andererseits kann man aus dieser Serie aber auch so rein aus kultureller Perspektive und soziologischer Perspektive sehr rausziehen.

Rebekka Endler:

Und gleichzeitig ist es, wenn man die Serie schaut und ein bisschen drüber nachdenkt, ist die Kluft zwischen dem, was uns da gezeigt wird und dem, wie es wirklich ist, könnte nicht größer sein. Denn diese Frauen, die dann in Haute Couture wirklich Weiblichkeit performen, leben im wirklichen Leben teilweise in sehr prekären Verhältnissen. Denn es gibt diesen Unterschied zwischen den Broker, also diese Zwillinge, die die Chef sind und die verdienen einfach den Löwenanteil daran. Und diese Frauen haben kein festes Gehalt, sondern die werden mit Kommissionen bezahlt, die eben beim Verkauf dieser Häuser anfallen. Und die sind auch alle unterschiedlich prozentual daran beteiligt. Das heißt, es gibt auch innerhalb dieser Frauen – und das ist auch der Grund, warum das so viel geguckt wird – eine strenge Hackordnung, die sich immer wieder dann auch ändert und die aber nur auf Gutdünken dieser Zwillinge quasi entschieden wird. Also die verdienen nicht nur am meisten daran, sondern die entscheiden auch, wer, welche Frau, wie viel daran verdient. Also die haben eigentlich alle Fäden in der Hand. Man muss aber auch sagen, dass es diese Serie, wenn man das mal auf so einer Metaebene betrachtet, auch nur gibt, weil das ganz viel emotional labour ist, die diese Frauen da reinbringen, weil die Zwillinge sind an sich nicht so interessant.

Also es ist dieses Drama der Frauen untereinander, die den Wert der Serie ausmachen. Und das ist halt so eine andere Form dann von Leistungsgesellschaft, die da funktioniert wird, die aber nicht denen bezahlt wird. Die werden natürlich für die Teilnahme bezahlt. Aber das sind Peanuts, weil das ist dann so, ja, du kannst das nutzen und das tun sie ja auch; wenn du erst mal bekannt geworden bist durch die Serie, haben sie dann irgendwelche Brand-Deals und so weiter. Aber man sieht das in so ein paar Folgen, wo beispielsweise dann auch einige der Frauen krank werden oder alleinerziehend sind, Kinder haben. Wie nah und wie gefährdet die eigentlich sind. Die sehen reich und schön aus, also literally reich und schön. Aber in Wahrheit leben die sehr nah am Prekariat und sind eben sowohl der Gunst dieser Zwillinge ausgeliefert, als auch der Gunst der Serienmacher. Das sind auch wieder Männer, die dahinter sind und die dann wiederum auch den Löwenanteil dessen, was diese Serie einspielt, verdienen. Also die Frauen sind diejenigen, die hart arbeiten im Verkauf und im Verkauf ihrer persönlichen Geschichten und ihres Dramas, weil das ist ja die Arbeit, die sie da machen, ist: Sie verkaufen ihr persönliches Drama untereinander, in ihren Familien und dafür sehen sie aber keinen Cent von denjenigen, die am meisten daran verdienen. Wenn wir jetzt gerade über die finanziellen Verhältnisse sprechen, dann ist das so der größte Clash in dieser Serie, den man dann aber erst versteht, wenn man so ein bisschen an der Oberfläche kratzt. Aber wir wollen auch sagen, wir gucken ja wahnsinnig viel Trash und auch gerne und wir haben da auch Spaß dran. Also ich würde sagen, gerade die Tatsache, dass ich das mit Annika zusammen so ein bisschen hinterfrage, nimmt mir kurioserweise nicht den Spaß daran, sondern vergrößert ihn eigentlich noch.

Natascha Heinisch:

Das wäre auch eine meiner Fragen gewesen: Könnt ihr noch Serien gucken, Bücher lesen und einfach nur da sitzen und das auf euch rieseln, also euch daran erfreuen, ohne direkt zu sagen, ach, darüber könnte ich reden, darüber könnte ich reden, oder geht da eine Trennung oder ein gleichzeitiges Genießen trotzdem noch?

Rebekka Endler:

Also ich genieße das nicht, wenn diese Ausbeutungsverwaltung Verhältnisse so krass sind, dass ich dann denke, am anderen Ende wurde die Person nur ausgenutzt und hat da nichts davon. Dann ist das für mich so eine Linie, wenn die überschritten ist, dann kann ich das auch nicht mehr zu meinem eigenen Vergnügen und auch nicht, es dann kritisch zu besprechen. Und Reality TV fordert ja auch Opfer. Es ist ja nicht so, als wäre das irgendwie so ein Verbrechen ohne Opfer. Das finde ich auch schwierig, da diese Grenze zu ziehen, aber das wäre so mein Kriterium. Und solange ich aber das Gefühl habe, dass es beispielsweise bei den „Real Housewives“ so ist, das ist alles schlimm und fürchterlich, aber innerhalb des Wertesystems, in dem diese Frauen leben und in dem die sich entschlossen haben, zu funktionieren, verdienen die ja auch daran und steigen in ihrer Hackordnung auf und können sich das leisten, was sie sich leisten wollen, weil das auch das Wichtigste in ihrem Leben ist. Und die sind ja erwachsene Menschen und diese Entscheidung, die da getroffen wird, da denke ich mir auch so, das kann ich extrem kritisch sehen, aber ich kann es auch trotzdem für meine Unterhaltung dann noch irgendwie genießen, weil klar sind die auch Teil von so einem Ausbeutungsmechanismus, aber denen unterstelle ich so viele eigene Agency und auch Profit, dass das nicht so, ja, dass das nicht so schlimm ist. Ich weiß nicht, Annika, wie siehst du das?

Annika Brockschmidt:

Ja, ich glaube, ich sehe das ähnlich. Also ich tue mir sehr schwer mit Reality-Formaten, wo dieses Pendel der Ausbeutung eben über dieser Grenze, die sich auch manchmal sehr schwammig anfühlen kann, hinwegschwingt. Das fühlt sich dann irgendwie icky an.

Rebekka Endler:

Also „Die Duggars“ als Beispiel, Annika und ich haben da auch, ich glaube, sogar in den Sunset-Folgen drüber gesprochen. Also alle Reality-TV-Formate, die so fernab von Glam das ganz normale Amerika zeigen sollen. Oder auch… wie heißt das? „Toddlers and Tiaras“. Das ist auch so ein Ding. Erst mal bei Kindern mache ich sowieso… da bin ich rigoros. Das ist Ausbeutung von Kindern, wenn die ins Reality TV gezerrt werden. Das hat da nichts verloren. Das sind keine Menschen, die diese Entscheidung selbst getroffen haben, das lehne ich grundsätzlich ab. Und entschuldige, ich habe dich unterbrochen, aber ich wollte nur ein Beispiel nennen, damit, wenn man jetzt nur in dieser Selling Sunset Welt und in den Real Housewives steckt, dann fällt das manchmal schwer, sich zu überlegen, dass Reality TV aber eben auch, so wie der WDR vor 30 Jahren die Fussbroichs porträtiert hat, eben auch eigentlich den Anspruch hatte am Anfang, das ganz normale Leben zu zeigen, wie so eine Art Doku zu funktionieren.

Annika Brockschmidt:

Und mittlerweile sind ja zumindest diese, ich sage mal, Hochglanz-Reality-TV-Produktion, sei es jetzt Eigenproduktionen von Netflix wie „Selling Sunset“ oder so Bravo Shows wie die Real Housewives, das ist ja nicht mehr „Wir zeigen den Alltag des in Anführungszeichen „regulären Amerikas““, sondern da ist ja jetzt zum Beispiel, wie auch mit der Hulu Shows … Warte, jetzt muss ich es richtig hinkriegen… „Real Lives of Mormon Wives“, das ist immer ein Zungenbrecher. Da geht es ja eher darum, quasi den Blick in Subkulturen und in sehr wohlhabende Subkulturen, zu denen man regulärerweise keinen Zugang hat, zumindest teilweise zu ermöglichen. Also das ist ja das Verkaufspitch des Ganzen. Und deswegen hat sich auch das Genre von Reality TV, glaube ich, in den letzten Jahren, deutlich mehr in diese Richtung entwickelt und ein bisschen so weg von den, ich sage mal, eher grabbeligen und ganz einseitig ausbeuterischen Shows seiner Anfangszeit. Aber ich glaube, für mich zumindest insgesamt, jetzt auch jenseits von Reality TV, weil du ja gefragt hast, könnt ihr Sachen nur noch gucken, quasi mit dem mentalen Notizblock: Bei mir würde ich sagen, schon, aber das nimmt mir gar nicht den Spaß. Ich habe zum Beispiel vorgestern die fünfte Staffel von „You“ beispielsweise geschaut und habe währenddessen die ganze Zeit gedacht, auch natürlich, weil es da auch ein bestimmtes Genre von Bromance geht, als eines der großen Motive und Themen dieser Serie, habe ich die ganze Zeit gedacht, boah, ich will nicht nur Rebekka davon erzählen, wie ich normalerweise einfach mit einer Freundin darüber reden würde, oh, hast du es geschaut? – Ja, war gut, war nicht gut. Sondern ich würde das auch gerne sezieren, weil ich weiß nicht, mir macht das dann wahnsinnig Spaß gerade einfach meinen aktuellen kulturellen Hyperfokus mit der Rebekah zusammen auseinander zu picken. Und für mich ist das so eine Gleichzeitigkeit von: Es macht mir total Spaß, das zu schauen. Es macht mir aber auch fast noch mehr Spaß und ist auch irgendwie so ein bisschen eine persönliche Bewältigungsstrategie, vielleicht mit den beunruhigenderen Komponenten dieser Form von Ausdrucksweise klarzukommen, wenn ich das mit Rebekka besprechen kann. Und wenn das dann noch Leute hören wollen, dann umso besser.

Rebekka Endler:

Ich glaube, das, was da funktioniert, ist, dass Dinge, die einem, wenn man es einfach nur schaut, so ein gewisses Unwohlsein oder so einen Ick-Moment, so ein Störgefühl verursacht haben, dann einzuordnen und dafür Namen zu finden und die mit den richtigen Begriffen dann zu sortieren. Da hat man so das Gefühl, OK, man hat so ein bisschen was verstanden. Also das geht mir dann so, wenn ich mit Annika darüber spreche, dass wir manchmal… wir überlegen uns ja, wir haben jetzt nicht irgendwie Seiten lange Show Notes und haben alles genauestens recherchiert, sondern meistens kommen wir ja von Hölzchen aufs Stöckchen und das entsteht dann so währenddessen. Und das hilft einem aber auch in diesem ganzen Chaos, so ein Gefühl von, auch wenn es nur für zwei Stunden ist, so eine gewisse Ordnung geschafft zu haben, weil wir beide auch ansonsten so extrem chaotisch sind. Also für mich ist das wie so eine Art mentales Aufräumen, das sich gut anfühlt. Ja, genau. Und das ist auch das Feedback, was wir von den Leuten hören teilweise. Das tut mir auch immer so super leid, weil wir kriegen sehr, sehr viele Anfragen: „Hier, ich habe diesen Film gesehen, diese Serie, dieses Buch gelesen, könnt ihr bitte? Macht bitte!“ Und wir können in 99% der Fälle nicht, weil wir einfach nicht diese Ressourcen haben. Wir machen das ja unbezahlt und wir haben einfach andere Jobs, mit denen wir Geld verdienen müssen. Aber ich verstehe das, weil dann, wenn wir das mal machen, das Feedback dann auch immer kam: Das war so gut, ich hatte die ganze Zeit so ein Störgefühl und habe die richtigen Worte nicht dafür gefunden. Und das fühlt sich dann in dem Moment so relaxing fürs Gehirn an, wenn das andere Leute dann machen und man das ein bisschen wie so ein Vogel-Baby dann in den Kropf in so vorverdauten Stücken reinkriegt. Sorry, ja, das ist sehr ekelhaft, aber unser Podcast ist so eine Art Vogelmutter, die das dann schon so vorverdaut wieder zurück in den Kropf schüttet. Und dann kann man es auch leichter verdauen.

Natascha Heinisch:
eichter verdaulich für das Kleine und dann …

Rebekka Endler:

Ja, genau. Wir machen Kleie. Kleie fürs Volk.

Annika Brockschmidt;

Also bei mir hat es auch wirklich den Effekt, wenn ich mit Rebeka über was auch immer wir gerade reden, gesprochen habe, es ist wie so ein Itch in meinem Hirn, ist dann gekratzt und es ist intellektuell nicht nur sehr befriedigend, sondern ich habe auch das Gefühl, OK, ich habe jetzt irgendwie in mir selber was verarbeitet, weil seien wir ehrlich, klar, wir gucken diese Sachen zur Unterhaltung, aber wir befinden uns ja trotzdem noch in einem patriarchalen System und diese Kulturprodukte sind auch Produkte eines patriarchalen Systems. Und das ist nicht immer nur erfreulich oder das führt auch dazu, dass man … Ich habe zum Beispiel, wie gesagt, über die aktuelle Staffel von „You“, ich habe sehr gespaltende Gefühle darüber, wie auch über die vier anderen Staffeln, die davor kamen, die ich aber trotzdem geschaut habe. Und dieses allein, das irgendwie für sich in Einklang zu bringen: Warum hat das auf mich so eine Auswirkung? Warum schaue ich bestimmte Sachen weiter, obwohl ich vielleicht intellektuell weiß, dass es da problematische Sachen gibt, das für sich auseinander zu klamüsern? Ich glaube, das beschäftigt ganz viele Menschen, die diese Produkte konsumieren und das ist, glaube ich, Teil des Appeals.

Natascha Heinisch:

Zu dem unguten Gefühl im Bauch, wahrscheinlich sehr viele ihr auch, während ich „America’s Sweethearts“ geschaut habe, da hatte ich viele Momente, die wirklich mir innerlich sehr wehgetan haben. Auch da für euch da draußen: Das ist eine Netflix-Dokumentation, die über die Football-Saison 23/24, glaube ich, die Cheerleaders, die zu den Dallas Cowboys gehören, begleitet von ihrem ersten Vortanzen, über den Auswahlprozess, über die Saison hinweg und dabei einige von diesen jungen Frauen besonders beleuchtet, oder die treten besonders hervor. Und da waren bei mir viele Momente dabei. Es ist vor allem eine Tänzerin dabei, Victoria, die ein Jahr Pause gemacht hat, die über ihre Essstörung redet oder sehr offen allgemein ist, dass ihr psychisch einfach nicht gut ging und macht jetzt noch ein Jahr mit. Und man sieht die ganze Zeit, wie sie unbedingt dort dazugehören möchte. Ihre Mutter war auch schon Cheerleader, hatte eine ganz tolle Zeit, sagt sie, und wie sie selber sich so danach sehnt, da angenommen zu sein, gesehen zu werden und wie das für sie einfach überhaupt gar nicht gut ist. Und man denkt, mach doch was anderes, du bist doch so jung, mach was aus deinem Leben, was Schönes mit Leuten, die nett zu dir sind, wo du nicht so ausgebeutet wird.

Auch Da kann man tatsächlich einen Bogen hin zum Thema Bezahlung schlagen. Die Cheerleader haben alle neben diesem sehr körperlich auslaugenden Job noch ganz normale Nine-to-Five-Jobs und danach gehen sie zu Tanztraining und machen ihre Spiele und so weiter. Genau, da würde ich gerne die Bühne als Nächstes aufmachen zu diesem… Da kommt die nächste Staffel, ich weiß nicht, ob dieses Jahr oder nächstes Jahr. Es wird eine zweite Staffel geben, wo Victoria nicht mehr dabei ist und ich freue mich für sie, dass sie ausgestiegen ist.

Annika Brockschmidt:

Victoria ist jetzt, glaube ich, wenn ich mich richtig erinnere, in New York, oder?

Natascha Heinisch:

Sie wollte für die…Roquettes.

Annika Brockschmidt:

Roquettes.

Natascha Heinisch:

Aber was ich gelesen habe, ist, dass sie es nicht geschafft hat.

Annika Brockschmidt:

Aber sie tanzt auf jeden Fall. Ich habe zumindest auf ihrem Social-Media-Account diverse Tanzvideos. Ich glaube, sie ist wieder als Tanzlehrerin tätig. Und klar, sie ist immer noch erkennbar als Victoria, aber der Unterschied von der Victoria, die wir im Rahmen dieser Doku kennengelernt haben, wo man wirklich das Gefühl hat, das ist eine junge Frau, die an diesem Ausbeuterischen sehr brutal, auch körperlich brutalen System, wir erfahren in der Doku ja auch ganz viel über die Verletzungen, die beispielsweise durch die Spagat-Sprünge diese Cheerleaderinnen oft mit sich tragen und die körperlichen Verschleißerscheinungen, die in keinster Weise in Verhältnis stehen zu dem, was sie überhaupt an Geld bekommen dafür, wie das entlohnt wird. Der Unterschied zwischen der Victoria in dieser Doku und der Art und Weise, wie sie jetzt zumindest auf ihrem Social-Media-Account wirkt, ist … Also für mich liegen da Welten dazwischen. Also da habe ich zumindest gedacht, OK, unabhängig davon, ob du jetzt das erreicht hast, was du vor ein paar Jahren dachtest, dass du wolltest. Sie scheint zumindest jetzt da aufgeblüht zu sein, was mich sehr froh gemacht hat. Aber ich muss sagen, ich war überrascht, als die Nachricht kam, dass es eine zweite Staffel gibt, weil klar, das war super erfolgreich, aber das Feedback …

Ich hatte das Gefühl, dass das Team der Dallas Cowboys Cheerleaders, das gemacht hat, weil sie dachten, dass es deutlich positiver ausfallen würde, auch die Darstellung dessen. Und nach dem auch recht intensiven Backlash, den es auch von Zuschauerseite und teilweise auch von Fanseite gab, weil jetzt also zum ersten Mal einem breiten Publikum aufbereitet gesendet wurde, klar, auch hier hohes Production-Value, sehr glossy, wie hart diese Arbeitsbedingungen sind und wie ausbeuterisch das ist, habe ich gedacht, OK, krass, dass ihr noch mal … Ich meine, wir wissen nicht, ob sie wieder genauso viel Zugang bekommen wie bei der ersten Staffel. Das hat mich doch ein bisschen überrascht.

Rebekka Endler:

Wahrscheinlich ist das aber … Also ich würde jetzt sagen, dass das aus PR-Sicht der Dallas Cowboys wahrscheinlich so eine Art Redemption-Ark gibt, dass die zweite Staffel jetzt so sagt, ja, wir haben das Feedback gemerkt, wir haben es ernst genommen und das sind unsere Veränderungen und jetzt ist alles … Wahrscheinlich reden die jetzt in der … Also ich würde ja sagen, dass sie in der zweiten Staffel sehr viel über Mental Health reden.

Annika Brockschmidt:

Das kann natürlich sein. Das haben wir auch besprochen. Das fand ich extrem bezeichnend, dass beispielsweise, weil Essstörungen sind ja immer wieder Thema durch die ganze erste Staffel hindurch, nicht nur weil Victoria darüber spricht, sondern weil auch diese Trainerinnen und die Coaches, aber in Codes über Essstörungen sprechen, in einer Art und Weise, die komplett doppelschneidig ist, weil einerseits wird nicht gesagt, du hast heute nichts gegessen und deswegen hast du nicht die Kraft, das zu machen, sondern es wird gesagt, are you fuelling yourself? Das ist der Code für „hast du was gegessen? Isst du zu wenig?“. Und gleichzeitig wird aber von den Tänzerinnen erwartet, dass sie… beispielsweise die Uniformen dürfen nicht verändert werden. Wenn man irgendwie, weiß ich nicht, ein paar Kilo zunimmt, dann gibt es keine neue Uniform, sondern die Uniform wird maßgeschneidert im Moment des ersten Trainings. Und auch wenn man drei Jahre später noch dabei ist, unabhängig davon, welche Veränderungen der Körper durchmacht, du musst weiterhin diese Uniform tragen. Also es passt nicht zu dem nach außen hin.

Rebekka Endler:

Das ist der Körper, der eingekauft wurde und das ist der Körper, den du behalten musst.

Annika Brockschmidt:

Genau, der hat auch dann aufzutauchen für die maximal, ich glaube, fünf Jahre waren es, die sie dabei sein dürfen. Und das steht natürlich im direkten Widerspruch zu diesem sehr performativen „are you fuelling yourself?“, wo wir alle wissen, wenn hier in ausreichendem Maße „Fuel“ kommen würde, dann müsstet ihr wahrscheinlich einige eurer Regelungen ändern und das erlaubt ihr auch gar nicht. Aber da hat man schon gemerkt, wahrscheinlich weil sie wussten, dass die Victoria-Essstörung, in Anführungszeichen „Storyline“, Thema sein würde, das fühlte sich sehr nach PR-Move an, dass so offensiv danach gefragt wurde, aber ohne, dass es am strukturellen System irgendwas geändert wird.

Natascha Heinisch:

Widersprüche sind ein sehr guter Punkt bei der Doku. Eine andere junge Frau, die stark beleuchtet wird, ist Reece. Wir haben ja über die Uniform die maßgeschneidert ist – ein ganz, ganz, ganz kurzes Höschen, eine sehr eng gebunden eine Bluse, sehr gestylte Frauen. Und sie sagt, sie hofft, dass wenn man sie tanzen sieht, dass die Leute Jesus sehen, dass die Leute Gott sehen. Also nach außen hin ist sie extrem sexy gekleidet, tanzt sexy, die Damen sind für die Männerwelt so überfordernd sexy, dass man Männern einen Football in die Hand geben muss, wenn sie Fotos mit ihnen machen, damit die Männer ihre Hände an dem Football lassen und nicht die Frauen herumlegen. Also auch eine ganz, ganz hässliche Sache.

Aber genau, Reece, den ersten Mann, der seinen Arm sie umgelegt hat, den hat sie jetzt geheiratet und ist auch in der zweiten Staffel wieder dabei und tanzt gleichzeitig in diesem extrem knappen Outfit für eine grölende Menge und hofft, dass man Gott dabei sieht und nicht sie.

Annika Brockschmidt:

Ja, ich fand Reece als Figur sehr spannend, weil Reece ist, zumindest so wie wir sie in dieser Serie sehen, die perfekte Form – und so wird sie auch von den Trainerinnen beschrieben – von Southern Femininity. Sie ist sehr fromm, sie sieht ihr sexy Tanzen, wie du gerade gesagt hast, als Ausdruck ihres Glaubens und ist aber gleichzeitig sehr so Purity Culture coded, das Ganze. Also das, was wir über ihre Dating-Geschichte wissen, lässt darauf schließen, dass sie fest in Purity Culture verankert ist. Und das scheint auf den ersten Blick ein Widerspruch zu sein und da ist es, glaube ich, wichtig zu verstehen. Und das zieht sich auch beispielsweise durch diverse evangelikale Eheratgeber durch – dass in diesem Weltbild einerseits Frauenkörper extrem einem patriarchalen Blick unterworfen sind, dass aber innerhalb bestimmter streng patriarchaler Grenzen Sexiness nicht nur toleriert wird, sondern gefordert wird als Befriedigung bestimmter patriarchaler Vorstellung von Performance von Weiblichkeit. Das ist auch der Grund, warum sie haben fast alle wahnsinnig lange Haare. Der Hair Toss ist ein fester Bestandteil der Choreografie und Reece ist eben auch in Augen dieser Trainerin der perfekte Ausdruck dieser Kombination aus Frömmigkeit, Purity Culture, aber auch unglaublicher Sexiness. Weil das ist ja auch immer ein Kritikpunkt, wenn die Sexiness nicht gut genug rübergebracht wird.

Aber gleichzeitig gibt es extrem strenge Grenzen dafür, was erlaubt ist und was nicht. Und wir sehen ja dann auch, wie problematisch der Umgang beispielsweise innerhalb dieser Mannschaft ist, also von Seite der Trainerin her, als dann eine der Tänzerinnen sexuell belästigt wird bei einer der Performances, wo ich davon ausgegangen bin, dass wären die Kameras jetzt hier nicht dabei, die ganze Sache wahrscheinlich anders abgelaufen wäre, aber auch so passiert dem Mann, der sie belästigt hat, letzten Endes nichts. Es gibt keine Anzeige und nichts.

Rebekka Endler:

Diese Art der Weiblichkeit, die ist insofern so komplex und für uns als Außenstehende auch wirkt es widersprüchlich, weil einerseits Sexiness quasi obligatorisch ist und gleichzeitig die Frau sich dieser aber nicht gewahr sein darf in einem zu großen Ausmaß. Also es ist keine Sexiness, die dazu dient, die eigene Lust oder die eigene Sexualität zu bedienen und Ausdruck zu verleihen, sondern es ist Sexiness, die nur im Dienste des Male Gaze, der Sexualität des Mannes in den Dienst gestellt werden darf. Und das ist ein sehr schmaler Grad. Und ich glaube, das, was Reece so gut hinkriegt, ob jetzt bewusst oder unbewusst, wahrscheinlich sogar unbewusst, weil ich weiß nicht, ob das jemand bewusst so gut hinkriegt, ist einerseits diese Unschuld vom Land zu verkörpern. Sie damselt sich die ganze Zeit, sie ist glaubwürdig naiv und dann aber auch unfassbar sexy. Und damit haben sie so eine Art Diamanten gefunden und in diesem Framework dann auch geschliffen, die ist von einer fast unerreichbaren Einzigartigkeit, weil man merkt auch bei den Cheerleadern, die sich ihrer Sexiness zu sehr gewahr sind, dass sie sofort in so eine slutty Ecke geschickt werden, weil die Frau hat einfach keine eigene sexuellen Triebe haben. Das passt überhaupt gar nicht zu dem Bild der Weiblichkeit, das uns da auch als dieses familienfreundliche Entertainment verkauft wird.

Sie tanzen in Hotpants und Bustiers, aber eigentlich funktioniert das nur, wenn sie niemals in Frage stellen, warum sie eigentlich in Hotpants und Bustiers tanzen, warum sie im Spagat landen muss. Also all das, womit das konnotiert ist, da müssen sie sich dümmer stellen, als sie sind und so tun, als würden sie das nie hinterfragen und als hätten sie keine Ahnung. Und bei Reece funktioniert das, weil man wirklich denkt, dass sie das nie hinterfragt hat. Ich kaufe ihr das beziehungsweise ihre Antwort auf alles, „weil Gott das so will“, ist.

Annika Brockschmidt:

Ja. Und das kaufe ich ihr auch tatsächlich ab. Also ich glaube noch nicht mal, dass das bei Reece irgendwie, vielleicht zumindest anfangs nicht, weil durch das, was ich über Recherche weiß, aus wie sie wahrscheinlich aufgewachsen ist und wie sie sozialisiert ist … Das ist ja auch so diese Dichotomie, die man beispielsweise in der Religiösen hat, dass einerseits diese Purity Culture, also die pure Existenz des weiblichen Körpers, gilt als quasi potenzieller Trigger für die sexuelle Lust des Mannes, der sich kaum im Zaum halten kann und von dem das auch nicht erwartet wird. Das heißt, der Druck, der liegt auf der Frau oder auf den jungen Mädchen. Und gleichzeitig, sobald diese jungen Mädchen dann verheiratet sind, wird also von ihnen erwartet: vorher „sexuelle Keuschheit“ in Anführungsstrichen ganz großgeschrieben und dann sollen sie aber, sobald sie verheiratet sind, zur absoluten Sexbombe und zum Sex-Kitten werden, auch wenn sie dafür ja nie Gelegenheit hatten, sich in diese Rolle überhaupt reinzufühlen oder zu wissen, wie sie damit umgehen sollen. Und das ist was, was, glaube ich, enorm schwer ist und was vielen Frauen und Mädchen enorm schwer fällt und auch realen Schaden anrichtet. Und Reece, deswegen wird sie, glaube ich, auch von den Trainerinnen so aufs Podest gestellt, weil sogar die Trainerinnen kaum glauben können, dass sie diese kognitive Dissonanz so scheinbar perfekt hinbekommt.

Natascha Heinisch

Aber an einer Stelle sagt ja auch eine: „Bist du immer… Wie kann das sein, dass du wirklich immer so gut drauf bist oder dass du immer so viel lächelst?“  Oder dass sie irgendwie alles „Ja, das mache ich!“, und man kauft ihr ab, dass sie demütig dankbar dafür ist und das glücklich annimmt, dass sie das machen darf.

Rebekka Endler:

Aber das ist lustig, dass selbst die Trainerinnen und die Leute, die in diesem ganzen Framework sind. Das ist schon zu gruselig, diese Perfektion.

Annika Brockschmidt:

Es hat so was von Uncanny Valley.

Rebekka Endler:

Ja!

Annika Brockschmidt:

Und dass das selbst Leuten wie Kelly, wie einer der Trainerinnen, auffällt, weil dieser Moment ist ja quasi so ein bisschen so … „Du bist aber schon echt?“

Rebekka Endler:

Reece ist einfach vom Heiligen Geist beseelt.

Annika Brockschmidt:

Ja, gut möglich.

Natascha Heinisch:

Ich habe oft gedacht an Leeloo aus „Das Fünfte Element“. Das ist ja auch so ein Sexy Born Yesterday. Sie trägt zwei Stoffbahnen um sich herum, kann am Anfang nicht sprechen und ist aber eine Superwaffe und für Bruce Willis ist es die sexyste Frau überhaupt. Eigentlich ist sie im Geist, sie ist eigentlich noch quasi ein Kind, das sich so booten muss, dass sie erst mal das ganze Wissen der Welt runterladen muss, zu verstehen, „Was ist denn Krieg?“ und da wird es dann schwierig, wie sie dann lernt, das gibt es alles, weil sie davor einfach ein sexy leeres Blatt war.

Das ist ein First, das ist das erste Mal dass ich einen Einschub mache, denn ich möchte an dieser Stelle gerne berichtigen, dass Leeloo natürlich sprechen kann, sie kann nur nicht Englisch sprechen, sie kann keine Sprache sprechen, die der Charakter von Bruce Willis versteht, aber natürlich kann sie sprechen. Das war’s schon.

Rebekka Endler:

Ja, leeres Blatt, aber mit extrem ausgeprägten Geschlechtsmerkmalen.

Sie performt so eine Hyper-Weiblichkeit, die auch Reece performt. Und ich gebe dir recht, Reece ist von ihrem Wesen, und es kommt ja auch nicht von ungefähr. Also Luc Besson, der das fünfte Element geschrieben und Regie geführt hat, ist ja auch dafür bekannt, dass er teilweise ein Vergewaltiger ist und sich eben jahrelang mit 14, 15-jährigen Mädchen in größten Anführungszeichen gesagt „romantischen Beziehungen“ befunden hat. Er hat quasi auf die Leinwand eine Trope übertragen, die er in seinem Privatleben genauso gelebt hat, den man weiterhin gewähren lässt, weil er auf so einem Jochkultur-Cineasten Podest steht. Das ist irgendwie wichtig, an der Stelle noch mal zu sagen, weil es sich eben nicht nur auf die Leinwand beschränkt, genauso wenig wie sich Reeces ganzes Dasein, eben nur auf diese Doku beschränkt, sondern das ist ihr Leben. Und der Besitzer – man muss ja in dem Fall tatsächlich von Besitzer, als wäre das irgendwie ein Rudel Hunde – aber der Besitzer der Dallas Cowboys ist ja auch, untertrieben gesagt, ein ganz schlimmer Finger. Und da sehen wir auch, wie diese Rechten und diese Pädosexuellen, diese patriarchalen Männer, die dann im wahrsten Sinne des Wortes die Besitzer dieser Frauen sind, wie sich das auch gegenseitig dann so informiert und wie… also ich bin sehr gespannt auf die zweite Staffel, weil mich auch interessieren würde, bei wem aus diesem Kader dann so eine Form von, wenn man das so kondensiert und in so Erzählstreifen in der Doku sieht, ist es, glaube ich, was anderes, als wenn das dein gelebter Alltag ist und ob dann so eine Reflexion, die bei einigen, die schon seit Jahren ausgestiegen waren, wo man dann in der Serie gemerkt hat, dass sie das auch ein bisschen angefangen haben zu hinterfragen, gerade auch den Umgang mit Victoria. Ich glaube, Victoria hat ja auch eine Freundin, die schon seit ein paar Jahren raus ist, die dann auch immer gesagt hat, ich wünsche mir für Victoria was anderes. Das ist aber etwas, was, wenn du mittendrin steckst, sehr, sehr schwer zu sehen ist. Und deswegen bin ich sehr gespannt, wer dann vielleicht so kritisch geworden ist, dass sie ausgestiegen ist. Und es gab ja schon mal – das hatten wir, glaube ich, im Podcast auch kurz erzählt, das wurde in der Doku nicht erzählt, aber in einem anderen Podcast über die DCCs – es gab schon mal eine ganze Reihe an Frauen, die ausgestiegen sind, eben weil sie nicht bezahlt wurden, weil man ihnen jegliche Zusatzmöglichkeiten versagt hat, weil man gehört quasi so sehr zu dieser Marke, dass jede in Zeiten von Social Media, wahrscheinlich noch mehr Angebote irgendwie über Brand Deals und so Geld zu machen, den DCCs untersagt sind, es sei denn, sie werden von oben abgenickt, abgeklärt.

Und in den 70er Jahren gab es eben Angebote vom Playboy und was mehr als das Jahreseinkommen der jeweiligen DCCs gewesen wäre und sie durften aber nicht daran teilnehmen. Und dann haben einige auch kündigt und dann Playboy-Shootings gemacht, verständlicherweise.

Annika Brockschmidt:
Ja.

Natascha Heinisch:

Gibt es irgendwelche Filme oder Serien, die ihr so emotional im Herzen tragt, dass ihr sie nicht auseinandernehmen wollen würdet? Ich hatte so ein bisschen Angst vor der The Holiday-Folge, weil ich so dachte, das ist mein Wohlfühlweihnachtsfilm, aber dann war es okay. Ich kann ihn immer noch angucken und er ist halt wie so ein Kashmir-Pulli, den ich mir anziehe, wie ihn Cameron Diaz sich anzieht …

Annika Brockschmidt:

Wollte gerade sagen.

Rebekka Endler:

Ja. Ja. Also häufig wollen wir ja auch niemandem was wegnehmen oder Dinge, die heiß geliebt sind, zerstören. Und meistens sind sie ja auch aus Gründen heiß geliebt, die auch für uns total nachvollziehbar und legitim sind und die wir auch so sehen.

Annika Brockschmidt:

Wir haben ja auch selber Spaß dabei. Wir quälen uns da ja jetzt zumindest zum großen… gut, „Ladies First“ war eine Ausnahme, aber wir …

Rebekka Endler:

Ich kann sagen, „Resisting Temptation“ war die größere Ausnahme, weil das war …

Annika Brockschmidt:

Das stimmt, das hatte ich schon wieder verdrängt. Aber wir schauen ja …

Rebekka Endler:

…und lesen auch Sachen, die uns gefallen teilweise.

Annika Brockschmidt:

Ja. Ich weiß nicht. Für mich, ich habe da so eine gewisse Ambiguitätstoleranz bei manchen Sachen, zum Beispiel … Jetzt fällt mir gerade der Titel nicht mehr ein. Wie hieß noch mal die horny Drachenreiter, die wir gelesen haben?

Rebekka Endler:

Fourth Wing.

Annika Brockschmidt:

Fourth Wing, genau. Die du gelesen hast. Die ich gelesen habe und die erzählt habe. Da muss ich ja sagen, hochproblematisch. Aber ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich wäre nicht wholly entertained gewesen. Und Band zwei und drei stehen bei mir auf dem Schrank und die werde ich nicht nur aus Recherchezwecken lesen, sondern auch, weil ich selber wissen will, wie es weitergeht. Und deswegen, also mein Traum wäre, dass wir irgendwann mal „When Harry Met Sally“ noch mal schauen, weil ich diesen Film tatsächlich abgöttisch liebe. Ich habe ihn vor zwei drei oder drei Jahren noch mal geschaut und dachte auch: „Oh, okay“.

Rebekka Endler:

Ja, so ging es mir mit „Schlaflos in Seattle“. Aber ich finde, für mich steckt da auch so eine Form von Würdigung drin, wenn man sich die Pfeiler seiner kulturellen Zivilisation noch mal vornimmt und schaut, auch weil zum Beispiel … Also „Schlaflos in Seattle“ hat mich total geprägt. Ich dachte, das ist so das Romantischste überhaupt. Und im Endeffekt war es auch so ein bisschen eine Stalking-Geschichte und ich dachte, ah, diese Überhöhung von, man verfolgt eine Person, die ganz offensichtlich kein Interesse an einem hat und hält das für romantisch. Es ist problematisch, aber da habe ich auch viel über mich verstanden und meinen Romantikbegriff. Und trotzdem ist es jetzt eher so, dass ich mich jetzt wieder entspannter diesem Film widmen kann, weil wir haben das Problematische ja von uns schon mal besprochen. Und damit kann ich das auch wieder gucken und auch die schönen Seiten und die Gespräche zwischen Vater und Sohn, die teilweise einfach super gut geschrieben sind. Eigentlich ist es auch fast über einen Umweg auch so eine Rückeroberung von Sachen, die man gerne mag. Und irgendwann werden wir auch mal uns meinem absoluten Wohlfühl-Ort, den Gilmore Girls,

 
Natascha Heinisch/Annika Brockschmidt:

Ooooh

Rebekka Endler:

… widmen müssen, weil ich habe das, keine Ahnung, unzählige Male durchgeguckt.
Mir fallen jedes Mal neue Sachen auf und ich mir denke, wow, selbst wenn man jetzt sagt, mit dem Wohlwollen der 2000er-Brille war das einfach hart misogynes Zeug, was da gerade aus Lorelais Mund gekommen ist, von Emily gar nicht zu sprechen und so. Und jetzt gerade fühlt sich das stressig an und meine Tochter liebt das auch, sieht aber auch diese ganzen … Also die hat wirklich auch so eine Dissonanz zwischen: „Warum hat die das gerade gesagt?“.

Da ist so viel Body Shaming auch in dieser Serie und ich glaube, dass mich das entspannen wird, das irgendwann mal mit Annika besprochen zu haben und dann haben wir was daraus gelernt und dann trage ich das nicht mehr als so ein „Das muss ich aber irgendwann noch mal aufarbeiten“ mit mir herum. Also es kann auch entspannend sein eigentlich.

Natascha Heinisch:

Ich kann das sehr gut verstehen. Bei mir war das Romantischste überhaupt „Only You“ hier mit Robert Downey Jr. Er tut so, als wäre er der für sie prophezeite Typ, indem er sagt „Ja, das bin ich!“, weil er halt was von ihr will und dann sägt sie ihn ab, weil sie merkt, er ist es gar nicht. Dann beauftragt er einen Kumpel von sich, der soll zudringlich werden, damit sie den dann auch nicht mehr haben will und dann dachte ich mir so, OK, das war eigentlich überhaupt gar nicht sehr romantisch, aber als…

Rebekka Endler:

Schlimm, nicht?

Natascha Heinisch:

Mit mein 13, 14 „Oh Gott, ist das schön und süß!“.

Rebekka Endler:

Total.

Annika Brockschmidt:

Absolut.

Natascha Heinisch:

Wonach entscheidet ihr, was ihr was als Nächstes macht, manchmal geplant, manchmal spontan, wenn euch was über den Wind läuft oder wie läuft das?

Annika Brockschmidt:

Das ist meistens relativ … Wir haben so ein paar Sachen schon länger angelegt, die wir dann versuchen, in unseren Terminplan zu schieben. Ich weiß nicht. Zum Beispiel „Selling Sunset“ hat jetzt nicht so wahnsinnig viel Recherche vorher, zum Beispiel, erfordert, währenddessen andere Sachen deutlich mehr Vorbereitung brauchen. Das heißt, das hängt auch ein bisschen davon ab. Und teilweise ist es wirklich, was uns gerade über den Weg läuft, oder was uns selber gerade beschäftigt. Und dann parallel dazu noch ein paar Sachen, die wir länger angelegt haben.

Rebekka Endler:

Genau, gerade bei Interviews ist es meistens so, dass wir irgendwie … Wir sind ja auch dazu übergegangen, tagesaktuelle, schlimme Interviews, zu sezieren. Das ist dann so: Hast du das gelesen? – Ja, ich habe das gelesen. Okay, dann setzen wir uns drei Stunden später hin und sprechen darüber. Aber es gibt schon so große Themen oder große, sei es Filme, Serien, die wir die ganze Zeit auf unserer Bucket-List haben, wo wir aber auch genau wissen, wenn wir das machen, dann wollen wir es auch richtig und ordentlich machen. Das braucht dann mehr Vorbereitung. Das ist wahrscheinlich ganz normal, aber mit zunehmender Reichweite habe ich auch immer mehr Respekt, weil wir uns ja wirklich beim ersten Mal einfach einmal gelesen, hingesetzt und darüber gesprochen. Und jetzt, wo wir mehr Hörer:innen haben, bin ich mir der Verantwortung bewusst nicht mehr ganz so …

Annika Brockschmidt:

Aus dem Ärmel.

Rebekka Endler:

Ja, also nicht einfach so Expertise mal eben aus dem Ärmel zu schütteln, sondern so ein bisschen mit Mehrwert zu garnieren.

Natascha Heinisch:

Ich würde gerne tausend Fragen stellen. Wir haben leider nicht so viel Zeit, aber natürlich möchte ich eure Arbeit als Autorinnen nicht außen vor lassen. Deswegen bekommt jeder von euch leider nur eine Frage dazu, aber ich hoffe, es ist eine gut überlegte. Annika, Februar 2024 war es, glaube ich, ist „Die Brandstifter“ rausgekommen. Gibt es etwas, was wir – und das war ja noch vor der US-Wahl – gibt es etwas, dass wir jetzt aus der religiösen Rechten der USA für uns in Deutschland, etwas, was wir lernen können, lernen sollten? Wahrscheinlich vieles.

Annika Brockschmidt:

Ja, ich glaube, eine der wichtigsten Lehren, die man auch für unsere aktuelle politische Situation und auch dafür, wer jetzt bestimmte Posten, Kabinettsposten, bekommt, daraus ziehen kann, ist, dass man das Framing von Familie und Familienwerten, wenn es aus dem Mund von Politikern des konservativen oder rechtsaußen Spektrums kommt, dass man das nicht einfach übernimmt, unkritisch, sondern sich ganz klar macht, wer damit gemeint ist. Nämlich unter Familien mit Familien sind heterosexuelle Ehepaare mit Kindern gemeint. Also dass das eine diskriminatorische und ausschließende Definition von Familie ist, die bestimmte Geschlechterrollen und Vorstellungen von Gender zementieren soll und das Bild dessen, was als gesellschaftlich akzeptabel gilt oder was als in Anführungszeichen „normal“ gilt, in den Grundfesten verändern soll. Ja, das wäre mein Wunsch…

Natascha Heinisch:

Die Childless Cat Lady nicht als Familienbild. Über die Childless Cat Lady mach ich einen schönen Bogen zu dir, Rebekka, zu deinem Buch, das jetzt im Mai rauskommen wird. Warte mal, ich muss auch immer schauen: „Witches, Bitches, It-Girls“. Nicht „Witches, Bitches, Itches”, „Witches, Bitches, Itch-Girls”.

Rebekka Endler:

Itch-Girls ist auch gut. Itch Girls. Hast du jetzt eine ganz neue Version gemacht.

Annika Brockschmidt:

Itch-Girls, ja.

Rebekka Endler:

Das gefällt mir.

Natascha Heinisch:

Genau, „Wie uns patriarchale Mythen immer noch prägen“. Und mein erster Gedanke war, als ich den Titel gesehen habe, dass so der schmale Grat irgendwie zwischen dem negativen Label und dem „Ich umarme ein Label, weil es dann keine Bedeutung mehr für mich hat“. Also wenn einer sagt, „Das ist eine Bitch“, weil wir hier auch viel über Filme jetzt geredet haben, an Dolores Claybourne von Stephen King gedacht, wo – ich habe es mir aufgeschrieben – gesagt wird: „Sometimes you have to be a high riding bitch to survive. Sometimes being a bitch is all a woman has to hold on to.” Also dieses, wo ist der Grat zwischen „das weise ich es von mir, weil ich weiß, dass es ein patriarchales Label ist und wann nehme ich es mir und renne damit und umarme es, weil es dann mich wiederum empowern kann“?.

 
Rebekka Endler:

Ja, das ist lustigerweise eine Parallele, die, als mir der Titel eingefallen ist, die ich nicht auf dem Schirm hatte, die ich aber seitdem sehr wohl gemerkt habe in den Gesprächen, die ich schon darüber hatte, ist, dass alle drei Termini, quasi Fremdbezeichnungen des Patriarchats waren, die durchaus negativ gemeint waren und dazu gedient haben, weiblich gelesene Personen auszugrenzen und jeweils zu unterschiedlichen Epochen benutzt wurden. Also bei den witches, bei den Hexen hat diese Übernahme oder diese reappropriation – wie würde man das auf Deutsch sagen?

Annika Brockschmidt:

Neuaneignung? Ummünzung? Umdeutung, ja.

Rebekka Endler:

Diese Umdeutung, diese Aneignung als Selbstdefinition in der Feminismuswelle, also der zweiten feministischen Welle, stattgefunden, als es eine politische Bitch gab, die gegen das Patriarchat, die gegen den Kapitalismus gekämpft hat. Bei den Bitches ist es jetzt so ein bisschen neuer, aber auch schon veraltet. Also es gab diese „Wir sind jetzt alle Bitches“ und man bezeichnet sich gegenseitig als Bitch und nimmt dem eben auch diese patriarchale Gewalt, die dahinter steht, indem man es als Eigenbezeichnung oder innerhalb einer gewissen Subkultur oder einer Freundinnen-Bubble benutzt. Das ebbt jetzt langsam auch ab und wir haben aber auch jetzt so eine Art kollektives Reckoning mit den It-Girls, deren Alleinstellungsmerkmal Ende der 90er, Anfang der 2000er Jahre war, dass sie angeblich dafür bekannt waren, einfach bekannt zu sein und nichts konnten. Und das folgt komplett patriarchalen Erzählungen darüber, was überhaupt Leistung ist, und dass das alles natürlich auf ihre Weise hart arbeitende Frauen und junge Mädchen waren, die auch einen hohen Preis dafür bezahlt haben, dass sie It-Girls waren, dass sie It Girls geworden sind und dass das eben kein leeres Ding ist. Also das größte Beispiel ist natürlich Kim Kardashian, die eine Frau von vielen Talenten und Fähigkeiten sind, die aber innerhalb einer patriarchalen Gesellschaft gar nicht als solche gelesen werden oder anerkannt werden.
Und jetzt erst, wo sie Multimillionärin… -milliardärin? Keine Ahnung…

Annika Brockschmidt:

Milliardärin.

Rebekka Endler:

…was ist, ist es so, OK, dann hat dieses It-Girl-Dasein es halt einfach mehr als mit Duck-Face-Selfies machen. Und das finde ich irgendwie ganz interessant. Aber das ist auch nur ein ein… kleiner Teil dessen, worum es darin geht.

Natascha Heinisch:

Wir sind gespannt. 

Rebekka Endler:

Die Macht, sich Begriffe dann wieder anzueignen, das ist übrigens auch was, was nicht Feministinnen erfunden haben, sondern das haben die Feministinnen sich dann auch abgeschaut vom Civil Rights Movement in den USA. Also Worte wie das N-Wort, die dann genommen wurden und als Eigenbezeichnung untereinander man dann damit denen die Macht entzogen hat, Das haben diese Feministinnen sich dann da abgeschaut und das gemacht und das funktioniert. Gleichzeitig bleibt natürlich auch dieses Geschmäckle, weil das Wort dann ja auch bleibt. Also es ist irgendwie eine Art bargain, wo ich auch bei einigen Worten auch nicht sicher bin, was der Mehrwert ist oder ob wir Dinge auch einfach verabschieden können und in die Vergangenheit hinterlassen können.

Natascha Heinisch:

Von der Vergangenheit in die Zukunft. Wovon wünscht ihr euch denn gern mehr? Was – Filme, Serien, Bücher, irgendwas – da, das ist so eine Sparte, da geht gerade was, da könnte es mehr geben. Wenn ihr wollt, könnt ihr es auch verbinden, ich frage immer in jeder Folge auch „gibt es eine weiblich gelesene Person, die ihr gerne empfehlen wollt. Schauspielerin, Regisseurin oder wie auch immer. Muss aber nicht sein, muss nicht verbunden sein.

Rebekka Endler:

Also ich glaube, ich habe jetzt durch meine Arbeit in den letzten drei Jahren an dem Buch, aber auch durch die Arbeit am Podcast mit Annika, wirklich verstanden, wie viel Macht hinter einer guten Geschichte steht. Oder anders gesagt, ich mag das Wort nicht, aber es ist in dem Zusammenhang auch sehr nützlich, wie viel Macht hinter Narrativen steht und welche Dominanz auch immer noch patriarchale Erzählungen und Geschichten haben. Und deswegen, wir werden diese Geschichte auch nicht loswerden, weil sie Teil unserer Kultur sind. Aber was ich mir wünsche und was ich wirklich auch sehr sinnvoll finde, weil es viel hinterfragt und der Geschichte die Macht hinterzieht, sind für feministische Reinterpretation von alten Mythen und Geschichten. Also es gibt jetzt, das ist sehr Subkultur-Genre, aber mein Kind ist jetzt zehn und liest wahnsinnig viel und ich bin aus allen Wolken gefallen – wie unendlich viele Kinder- und Jugendbücher es zurzeit gibt, die sich mit griechischer Mythologie befassen, die von Historiker:innen geschrieben wurden und die teilweise eben griechische Mythen mit feministischen Perspektiven erzählen und dann plötzlich so eine Medusa, eine ganz andere Backstory, die aber nicht entkoppelt von der eigentlichen Geschichte, sondern es gibt ja von all diesen Geschichten sehr viele Versionen, die dann teilweise in der Romantik dann noch mal verfestigt, misogyner und rassistischer gemacht wurden.

Und wenn man das wieder so ein Stück weit rückabwickelt und sagt: „Was ist eigentlich der Kern dessen und wie kann ich das mit einer feministischen Perspektive erzählen?“, dann ist damit für mich viel gewonnen, weil das Geschichten sind, die eben unsere westliche Geschichte sehr geprägt haben und die aber jetzt in so einem anderen Licht erscheinen, wo ich mir denke, da geht was. Also das finde ich hochspannend, was da gerade passiert. Auch die Amazonen, also es gibt unendlich viele, wenn man sich für griechische Mythologie interessiert, oder ein Kind in dem Alter hat, es gibt gerade wirklich viel, was auch richtig gut ist.

Annika Brockschmidt:

Ja, das ist eigentlich ein perfektes Schlusswort. Ich weiß nicht, es gibt ja vielleicht noch ein weiteres Genre. Es gibt ja im Moment viel auch was zum Thema Romantasy geschrieben wird. Wir haben ja auch mit dem Fourth Wing, sorry, irgendwie will sich dieser Titel mir nicht einprägen, mit dem Horny Drachenbuch auch was zu dem Thema gemacht. Und da gibt es viel Problematisches. Es gibt aber tatsächlich auch viel Schönes, vor allem aus dem Bereich Queer-Romantasy. Also dafür vielleicht auch noch mal hier eine Lanze gebrochen. Sonst was zwei Autorinnen angeht, jetzt gar nicht im Sinne von, dass sie Fiction schreiben, sondern wenn man kluge Dinge lesen will über Misogynie, über patriarchale Strukturen, Moira Donegan ist ein Name, die ist Kolumnistin für den US Guardian, arbeitet in Stanford, glaube ich, als Writer in Residence, und Kate Manne, die auch vor allem Misogynie und fad mir beispielsweise die überlappenden Teile dieses ganzen Pakets sich anschaut, finde ich immer sehr aufschlussreich, weil da sehr kluge Gedanken sind und auch ich ganz oft eigene Denkanstöße daraus ziehen kann.

Natascha Heinisch:

Vielen Dank. Und dann bekommt ihr wie alle natürlich noch unsere Abschlussfrage: Was bringt dich aktuell zum Fauchen und was bringt dich zum Schnurren beim Thema Equal Pay?

Rebekka Endler:

Bevor Annika das sagt, fange ich mal an. Also eine meine positive Entwicklung ist tatsächlich, seit ich Autorin bin, dass ich durch die Vernetzung mit anderen Autorinnen wir untereinander sehr, sehr offen über Honorare und über Vorschüsse und all diese Dinge sprechen und dass dem dadurch auch wirklich so ein bisschen so eine Macht entziehen und ich auch darüber verstanden habe, dass es nicht nur meine eigene Entscheidung ist, wenn ich mich beispielsweise unter Wert oder für wenig Geld lese, weil ich damit auch die Preise für alle anderen kaputt mache. Und als ich das verstanden habe, fiel es auch sehr viel einfacher, nicht nur für mich, sondern auch für alle anderen zu sagen: „Sorry, aber für das Geld fahre ich nicht den ganzen Tag dahin, mache diese Veranstaltung“ und ich kann einfach nicht, weil sich das a) wirtschaftlich nicht lohnt und zum anderen, aber auch, weil es ein Dolchstoß für alle meine anderen Kameradinnen ist. Und das ist so eine Erkenntnis, die ich erst in letzter Zeit oder in den letzten Jahren gewonnen habe, die es nie gegeben hätte, wenn wir nicht alle sehr viel transparent über all diese Dinge sprechen würden. Und ich glaube, wir reden immer noch viel zu wenig über Geld und Honorare und Entlohnung.

Und weiblich sozialisierte Menschen gehen viel zu wenig in die Verweigerungshaltung. Und die Tatsache, dass es mir leichter fällt, wenn ich weiß, dass auch alle anderen davon betroffen sind, als das für mich selbst auch einfach einzustehen, dass ich sage, OK, für mich ist meine eigene Arbeit mehr wert, spricht ja auch schon Bände. Da kann auch noch bei mir einiges mehr passieren.

Annika Brockschmidt:

Da kann aber vor allem auch bei männlichen Kollegen noch mehr passieren, weil zumindest bei mir ist es so, dass die Vernetzung vor allem mit Kolleginnen stattfindet. Es gibt einige wenige Ausnahmen, aber das wäre vielleicht dann das negative Pendant dazu, dass männliche Kollegen immer noch viel zu wenig nicht nur dafür nicht einstehen, dass sie, was weiß ich, wenn sie als dritter Mann auf einem rein männlichen Panel angefragt werden, dann halt sagen: „Ist das nicht irgendwie ein bisschen strange, dass ihr nur Männer einladet? Vielleicht mal nicht mich, vielleicht jemand anders? Und bezahlt diese Person dann auch noch!“. Denn auch das ergibt sich aus den relativ wenigen Gesprächen tatsächlich, die ich dann mit männlichen Kollegen habe, dass auch da die Honorare… Das ist eine ganz schöne Kluft und das ist genau wie Rebekka sagt: Es wird sich eben erst etwas ändern, wenn sich ein solidarischer Grundgedanke einstellt und das darf sich nicht nur auf Kolleginnen beschränken, sondern da sind dann auch männliche Kollegen gefordert, dass sie auch nicht nur sich ihrer eigenen Privilegien bewusst werden und das dann zu dritt auf einem Panel in einem Mikrofon sagen, dass sie Privilegien haben, sondern daraus dann auch tatsächlich eine reale Konsequenz ziehen.

Rebekka Endler:

Und gleichzeitig wird das auch immer schwieriger, weil es extreme Kürzungen in der Kultur gibt und auch noch weitere geben wird. Das heißt, das macht es natürlich dann noch viel schwieriger, zu sagen: „Ich nehme das geringe Geld, was mir jetzt gerade geboten wird, nicht an, weil es zu wenig ist“. Aber dann kriege ich auch kein Geld. Es wird noch schwieriger werden, da irgendwie daran zu arbeiten und seinen eigenen Prinzipien treu zu sein, denn der Mensch muss fressen. Ja.

Natascha Heinisch:

Super wichtige Punkte. Vielen, vielen Dank euch. Vielen Dank auch, dass ihr überhaupt da wart, ich hätte eine Doppel-, Dreifach-, Wie-Auch-Immer-Folge – Ihr wärt meine erste Doppel-Folge, wenn wir Doppelfolgen machen würden, dann hätte ich sie euch auf jeden Fall gerne gegeben. Vielen, vielen Dank euch, dass ihr da wart. Falls ihr da draußen noch Fragen habt zur heutigen Folge oder allgemein zum Thema equal pay, dann schreibt uns sehr gerne an info@equalpayday.de oder folgt uns auf Social Media, wo wir unterwegs sind, mit dem Hashtag #EPD. Dann sage ich zu euch beiden: Vielen Dank, liebe Rebekah, liebe Annika. Schön, dass ihr da wart. Vielen Dank.

Rebekka Endler:

Ja, es war sehr vergnüglich. Ja, danke. Danke für die Einladung.

Annika Brockschmidt:

Auf jeden Fall.

Natascha Heinisch

Equal Pay Day Deutschland ist ein gefördertes Projekt des Bundesministeriums für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

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