Natascha Heinisch:
Im Zusammenhang mit unserer heutigen Folge habe ich gelernt, was ein sogenanntes “Geusenwort” ist. Ein Geusenwort oder auch Trotzwort bezeichnet ein Wort, das ursprünglich abwertend als Schimpfwort für eine bestimmte Gruppe von Menschen benutzt wurde, um diese herabzusetzen. Dann wird dieses Wort aber von der Gruppe selbst positiv umgedeutet, so reclaimed und als Eigenbezeichnung verwendet. Geusenwort stammt aus dem Niederländischen – geuzennaam – und die Geusen, die geuzen, war der Name, den sich Anfang des 80-jährigen Krieges im 16. Jahrhundert niederländische Aufständische selbst gegeben haben und zwar, nachdem sie wiederum auf Französisch abwertend „gueux“ genannt wurden – Bettler. Also quasi „OK, ihr nennt uns Bettler, gut, dann sind wir halt „die Bettler“ und wir tragen den Namen mit Stolz“.
Andere Beispiele für Geusenwörter sind die Sansculotten, die Impressionisten, die Punks und auch das Wort queer, dessen ursprüngliche Bedeutung „seltsam“ oder „eigenartig“ hieß.
Und so komme ich zum heutigen Thema, denn heute wird es auch ganz viel gehen um Queerness. Ich spreche mit Lisa Bendiek: Bildnerin, Moderatorin, Dolmetscherin und Autorin.
Hallo Lisa, schön, dass du da bist!
Lisa Bendiek:
Hi, Natascha. Guten Morgen.
Natascha Heinisch:
Wir hatten schon mal eine Folge, wo es ein Buch ging, dessen Titel auf jeden Fall eine eigene Frage bedarf. Dein Buch heißt: Lesben sind die besseren Väter. Und natürlich möchte ich gerne wissen, wie wahrscheinlich ganz viele andere auch, wie viel bewusste Provokation in dem Titel drinsteckt oder wie ihr drauf gekommen seid, wie ihr euch auf diesen Titel geeinigt habt. Es gibt auch noch einen Untertitel, den möchte ich gerne noch dazu sagen: „Regenbogenfamilien als Vorbild für gleichberechtigte Elternschaft”.
Lisa Bendiek:
Ja, wie wir auf den Titel gekommen sind, das war tatsächlich eine sehr, sehr lange Verhandlung zwischen dem Verlag und mir, also beziehungsweise den vier Personen im Verlag, die da mitzusprechen hatten. Und es war letztlich der einzige Titel, auf den wir uns einigen konnten. Der Gedanke dahinter war, mir war es vor allem wichtig, einen Titel zu finden, der deutlich macht, worum es geht, nämlich um Queerness und um Elternschaft. Und das alleine war schon mal wirklich schwierig, da einen Titel zu finden, der verständlich ist, der insbesondere auch für heterosexuelle an Elternschaft interessierte Menschen verständlich ist, weil es eine Kombination ist, die sehr selten thematisiert wird. Und da haben wir echt lange nachgedacht. Ich habe andere Vorschläge gemacht, die meine Favoriten waren, die aber dann das Verlagskollektiv nicht gut fand, beziehungsweise die, wie ich dann festgestellt habe, auch wirklich viele andere Menschen missverstehen. Sie haben mir auch Vorschläge gemacht, die ich teilweise ganz interessant fand, aber nicht so effektiv. Also mein Lieblingsvorschlag zum Beispiel war „Von Lesben Lernen”, was ich einen wunderschönen Titel finde, war die Idee des einzigen Mannes im Verlagskollektiv. Aber das Problem ist, dass Menschen, die nicht sowieso von Lesben lernen wollen, überhaupt kein Interesse entwickeln an diesem Buch und auch man nicht so richtig weiß, worum es geht. Also, ich meine, man kann von Lesben alles Mögliche lernen, bestimmt auch Glühbirnen wechseln und mit dem Presslufthammer umgehen oder so, aber dass es um gleichberechtigte Elternschaft geht, das war mir schon sehr wichtig, deutlich zu machen im Titel. Na ja, und dann sind wir tatsächlich auf diesen Titel gekommen und dass der eine Provokation ist, das finde ich jetzt nicht schlecht. Das war aber nicht das oberste Ziel. Also mein Ziel war wirklich, deutlich zu machen, was meine inhaltliche These ist. Und ich glaube, die These ist eben die Provokation, nicht der Titel. Ich muss allerdings auch sagen, also ich habe dann lange hin und her überlegt, ob ich mich mit dem Titel wirklich anfreunden kann und so weiter. Und was mich letztlich dann überzeugt hat, war die Vorstellung, dass irgendwelche Protofaschisten auf ihren rechten Online-Blogs einen Shitstorm anzetteln und dann gezwungen sind, wenn sie erklären, warum man mich hassen soll, immer wieder und wieder zu wiederholen: „Lesben Sind die Besseren Väter”. Das hat mich dann überzeugt. Da dachte ich, wenn der Titel so unmissverständlich ist, dann ist der gut. Naja, und in dieser CSD-Saison habe ich festgestellt, er eignet sich auch sehr gut als Demo-Schild. Das habe ich aber erst hinterher gemerkt, muss ich ehrlich zugeben.
Natascha Heinisch:
Das heißt, es ist quasi eine Mischung. Es ist der kleinste gemeinsame Nenner irgendwo, aber auch genau das, was es auf den Punkt bringt und deswegen ist es das letztendlich geworden.
Lisa Bendiek:
Ja, und das war die einzige Möglichkeit, die uns eingefallen ist, das auf den Punkt zu bringen tatsächlich
Natascha Heinisch:
Jetzt würde ich gerne für unsere Zuhörerinnen und Zuhörer noch so ein ganz kleines Refresh machen, weil du ja auch von queer und von queeren Familien sprichst, wie du das Wort queer definierst oder queere Elternschaft definierst. Ob das sozusagen ein Schirmwort ist, wo dann lesbisch-schwul drunter fällt oder wie du queer definierst.
Lisa Bendiek
Genau, das ist ein riesen Überbegriff und ich spreche eigentlich sogar noch lieber von Regenbogenfamilien als von queeren Familien. Regenbogenfamilien ist auch besser verständlich und der häufigere Begriff, den haben ja Pionier:innen von queerer Elternschaft schon vor Jahrzehnten etabliert, erfolgreich, würde ich sagen. Und ich meine, mit einer queeren Familie oder mit einer Regenbogenfamilie, da würde ich mich orientieren am LSVD, am Verband Queere Vielfalt. Alle Familien, in denen mindestens ein Elternteil, lesbisch, schwul, bisexuell, trans, nicht binär, inter oder irgendwie anderweitig queer ist. Das ist die Definition, an der orientiere ich mich auch. Also ich habe auch mit verschiedenen queeren Eltern gesprochen, die tatsächlich auf ganz unterschiedliche Art und Weise queer sind und deren Queerness ist auch sehr unterschiedliche Rollen spielen in ihrem Familienleben. Ich muss allerdings einschränken – und deswegen passt auch der Titel „Lesben sind die besseren Väter” ziemlich gut –, dass ich nur über wenige queere Elternkonstellationen wirklich viele empirische Daten habe. Also wenn wir uns angucken, gibt es tatsächlich belastbare sozialwissenschaftliche Erkenntnisse, dann gibt es die vor allem zu Zweimütterfamilien und in geringere Maß zu Zweiväterfamilien. Aber jetzt wenig zum Beispiel zu Familien, die aus einem cis-Mann und einer trans-Frau bestehen oder so was. Genau, und deswegen passt auch: “Lesben sind die besseren Väter” ganz gut, weil ich tatsächlich am allermeisten sagen kann über Lesben oder Menschen in lesbischen Familien. Das bedeutet nicht, dass ich andere Regenbogenfamilien weniger wichtig finde oder weniger interessant, aber ich kann einfach sowohl auf Basis meiner eigenen Erfahrung, als auch auf Basis des wissenschaftlichen Forschungsstandes viel weniger dazu sagen.
Natascha Heinisch:
Genau, zur Forschung kommen wir auf jeden Fall auch noch. Dann gehen wir direkt ins Thema einmal rein: Inwieweit bereiten sich denn queere Eltern anders vor auf das Elternsein? Weil je nachdem, wie die Konstellation ist, das Schwangerwerden und Kinderkriegen auch anders abläuft als in der Mama-Papa-Kind-Konstellation. Inwieweit läuft das anders ab, die Vorbereitung?
Lisa Bendiek:
Ja, es läuft bei den allermeisten Regenbogenfamilien schon sehr anders ab, denn schon die Frage: “Woher kriegen wir ein Kind?”, muss verhandelt und aktiv entschieden werden. Bei den meisten heterosexuellen cis-Familien ist es ja so, dass das von vornherein klar erscheint. Und erst wenn das nicht so funktioniert, wie Leute sich das vorgestellt haben, zum Beispiel, weil es Probleme mit der Fruchtbarkeit gibt oder so, erst in dem Moment fangen dann Leute an, Alternativen in Erwägung zu ziehen. Bei Regenbogenfamilien ist es meistens so, dass es verschiedene Alternativen gibt und keine davon offensichtlich erscheint. Also zum Beispiel in der Konstellation mit zwei cis-Frauen, wo zwei Personen einen Uterus haben, müssen sie schon mal entscheiden, wenn jemand dein Kind austrägt, wer trägt das Kind aus? Oder möchten das beide Personen? Wer fängt an? Und so weiter und so fort. Sie müssen in dieser Konstellation auch entscheiden: Woher kriegen wir Sperma, das Kind zu zeugen? Suchen wir nach einer bekannten Person oder bemühen wir uns eine anonyme Samenspende? Was sind die Folgen von diesen Entscheidungen? Und so weiter und so fort. Also es gibt, schon bevor Menschen ein Kind haben, unglaublich viele Entscheidungen zu treffen. Das habe ich jetzt beschrieben in Bezug auf die häufigste Konstellation.
Aber natürlich stellen sich zum Beispiel für zwei cis-Männer auch noch mal andere Fragen oder stellen sich diese Fragen noch mal in schwierigerer Form, würde ich sagen. Das heißt, wir machen uns wahnsinnig viele Gedanken schon darüber, wie wir zu einem Kind kommen und wir machen uns in diesem Zuge meistens auch über andere Sachen Gedanken, also darüber, wie möchten wir dieses Kind erziehen, wie organisieren wir Kinderbetreuung, wer möchte, welche Rolle haben, was ist uns wichtig, wie sorgen wir dafür, dass wir beide zu dem Kind eine enge Beziehung aufbauen können und so weiter und so fort. All das sind Fragen, die die meisten Regenbogenfamilien schon besprechen, bevor sie überhaupt ein Kind haben. Also Lisa Green, das ist eine Psychologin, die selbst in der lesbischen Wunschfamilie drei Kinder bekommen hat. Die hat promoviert vor etwa 20 Jahren zum Thema lesbische Familien Planung in Deutschland und sie hat unter anderem erforscht, welche Fragen diskutieren denn lesbische Paare, bevor sie Kinder bekommen? Das finde ich, sind sehr beeindruckende Zahlen. Also 85% haben darüber gesprochen, wie sie Kinderbetreuung organisieren wollen. 77% haben darüber gesprochen, wie auch die nicht-gebärende Mutter eine möglichst enge Bindung zu dem Kind aufbauen kann. Und 75% haben darüber gesprochen, wie sie Sorge und Umgangsrecht regeln wollen im Falle einer Trennung.
Also das, bevor sie ein Kind bekommen haben. Und wie gehen sie mit dem Machtungleichgewicht zwischen den beiden Eltern, das haben noch 66% besprochen. Und ich frage mich natürlich, wie die Welt aussehen würde, wenn auch in heterosexuellen Familien solche Fragen im Vorhinein besprochen werden würden. Ich glaube, sehr viel anders.
Natascha Heinisch:
Das ist ein ganz, ganz wichtiger Punkt, weil genau diese Kommunikation, diese Aushandlungsprozesse, wer macht was, wer möchte was machen, da werden wir auf jeden Fall auch noch im Detail draufkommen. Mich würde zunächst auch noch interessieren, was du verstehst unter „bessere” Väter sein, wie es ja auch in dem Titel schon drinsteht. Also was können hetero Männer für Lehren aus deinem Buch ziehen? Was können sie darüber lernen? Und was ist eigentlich ein besserer Vater? Was macht der?
Lisa Bendiek:
Ich würde sagen, ein besserer Vater ist ein Vater, der für seine Kinder präsent ist, also der da ist physisch und der aber auch emotional verfügbar ist und tatsächlich eine ernsthafte Beziehung eingeht zu seinen Kindern. Ich glaube, was heterosexuelle Männer lernen können aus dem Buch, ist: Es ist möglich, ein vollwertiges Elternteil zu werden, auch als hetero cis-Mann, auch als Vater, der vielleicht überhaupt keinen guten oder präsenten oder aktiven Vater als Vorbild hatte. Es ist möglich und das ist für alle Mitglieder der Familienkonstellationen ein Gewinn. Aber es ist auch ein bisschen anstrengend. Man muss schon auch was dafür tun, aber es lohnt sich.
Natascha Heinisch:
Genau, das bringt mich auf die nächste Frage: Warum Familien, in denen der Vater aktiv ist, insgesamt dann auch wieder glücklicher werden – ich glaube, die Antwort liegt so ein bisschen auf der Hand, viele können sich es wahrscheinlich denken, aber ich würde gerne noch mal drüber sprechen.
Lisa Bendiek:
Ja, ich glaube, da spricht dann der Hippie in mir oder vielleicht auch die Tochter eines Pädagogen. Aktive Väter sind glücklicher, weil wir Menschen soziale Wesen sind letztendlich. Und was Menschen glücklich macht, auch Väter, sind gelingende Beziehungen. Also sehr viel mehr als Geld oder beruflicher Status oder körperliche Kraft oder was auch immer so für Anforderungen der traditionellen Männerrolle zugeschrieben wird. Das sind alles Dinge, die nicht unmittelbar glücklich machen. Aber nahe und verlässliche soziale Beziehungen machen glücklich. Und deswegen sind auch Familien glücklicher, in denen sich alle beteiligten Eltern die Zeit dafür nehmen können, solche Beziehungen zu pflegen und es auch tun. Und was ist ein aktiver Vater? Das ist so ein bisschen in den Medien und auch in der wissenschaftlichen Forschung so ein Schlagwort, mit dem letztlich Väter beschrieben werden, die ungewöhnlich viel Zeit mit ihren Kindern verbringen. Also ungewöhnlich, nicht im Vergleich zu dem, was wünschenswert wäre, sondern im Vergleich zu dem, was Durchschnitt ist. Ich habe zum Beispiel eine sehr interessante Studie gelesen vom Deutschen Jugendinstitut aus dem Jahr 2014, die sich auch auf Basis einer sehr repräsentativen Studie, die auf Basis von einer sehr repräsentativen Stichprobe geguckt haben: „Wie teilen eigentlich heterosexuelle Familien mit Kindern verschiedene Formen von Arbeit auf und wie geht es ihnen damit?”. Und die kommen zu dem Schluss, dass 16% der Väter zu diesen aktiven Vätern gehören+, die mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen als andere. Die machen immer noch empörend wenig Hausarbeit.
Natascha Heinisch:
Die 16%?
Lisa Bendiek:
Die 16%, ja. Aber zumindest auch ein bisschen mehr als die anderen.
Natascha Heinisch:
Welche Vorteile bietet denn sonst noch die Elternschaft in so einer queeren Konstellation im Vergleich zu Eltern in einer heterosexuellen Kleinfamilie? Du hast schon viel über den… Man muss viel aushandeln, man muss offensichtlich sehr viel miteinander reden, schon bevor man Eltern wird. Was insgesamt gut ist, glaube ich, täte allen gut, auch in anderen freundschaftlichen Konstellationen, wie auch immer, dass man über Dinge einfach redet. Was für Vorteile gibt es sonst noch?
Lisa Bendiek:
Für mich ist der größte Vorteil tatsächlich die egalitäre Rollenverteilung. Das bedeutet, dass wir verschiedene Formen von Arbeit gleichmäßiger verteilen, sodass letztlich alle Beteiligten ähnlich viel Freizeit und ähnlich viel Freiraum haben. Und das bedeutet bei den meisten Regenbogenfamilien, dass verschiedene Formen von Arbeit gleichmäßig verteilt werden, sodass Leute etwa gleich viel Zeit mit Lohnarbeit verbringen, mit Hausarbeit und mit Kinder betreuen. Zumindest über die Elternbiografie hinweg gesehen, nicht unbedingt zu jedem einzelnen Zeitpunkt. Es kann auch bedeuten, dass man sich entscheidet, bestimmte Aufgaben nur an eine Person zu verteilen. Das kommt relativ selten vor oder meistens nur für vorübergehende Zeiträume, zum Beispiel wenn eine Person Elternzeit hat und die andere arbeiten geht oder so. Aber wenn man das gemeinsam auf einer gleichberechtigten Basis entscheidet, dann ist man damit üblicherweise auch zufriedener. Also was in Regenbogenfamilien selten vorkommt, ist, dass Leute enden mit einer Rollenverteilung, die eigentlich beide niemals so wollten. Und das ist ja bei heterosexuellen Familien leider sehr, sehr häufig. Also wir wissen ja seit Jahrzehnten, dass die Ansprüche und die Realität sehr auseinander klaffen, dass die Mehrheit, tatsächlich die Mehrheit der heterosexuellen Eltern, sich eine gleichberechtigtere Rollenverteilung wünscht, als sie umsetzt. Und das ist ja schade.
Natascha Heinisch:
Also die gleichberechtigte Verteilung der Aufgaben, dass man darüber redet, dass man das im Vorfeld verhandelt, das ist zum Beispiel etwas, dass heterosexuelle Paare daraus lernen könnten. Was für Tipps hast du noch? Also auf jeden Fall, dass man, vielleicht schon vor der Schwangerschaft, dass man da schon einmal ins Gespräch miteinander geht: „Okay, was wünsche ich mir, in dieser Beziehung als Partner, Partnerin, aber auch Mutter oder Vater, zufrieden zu sein, mit meinem Arbeitsleben zufrieden sein, wie können wir uns das aufteilen? Was für andere Tipps neben der Kommunikation … Also wahrscheinlich muss man sich auch viel mit sich selbst auseinandersetzen, wie ein erfülltes Leben für einen selbst aussieht, bevor man in die Elternschaft hineingeht. Was für Tipps hast du noch?
Lisa Bendiek:
Ich glaube, die wichtigste Erkenntnis – ich weiß gar nicht, ob das ein Tipp ist – ist: Gleichberechtigung ergibt sich nie von selbst. Gleichberechtigung ist immer etwas, das wir uns erarbeiten müssen, auch in Regenbogenfamilien. Regenbogenfamilien sind ja nicht deswegen die besseren Eltern oder die mit der gleichberechtigteren Rollenverteilung, weil das irgendwie in unseren Genen liegt oder so, sondern weil wir etwas dafür tun, dass es so ist. Und vielleicht haben wir in mancher Hinsicht auch einfachere Voraussetzungen. Also wenn zum Beispiel zwei Mütter oder so auf dem Arbeitsmarkt der gleichen Form von Diskriminierungen ausgesetzt sind, dann gibt es jetzt nicht so einen starken äußeren Anreiz, dass nur eine Person in ihre Karriere investiert statt der anderen. Aber im Großen und Ganzen lässt sich schon sagen, uns gelingt es, Arbeit gleichberechtigt zu verteilen, weil wir es wollen und weil wir es machen. Und das auf viele verschiedene Arten und Weisen. Du hast schon die Absprachen im Vorhinein angesprochen, die sind total wichtig und das ist, glaube ich, auch was, was queere Konstellationen von vielen heterosexuellen Konstellationen unterscheidet. Zwei andere Punkte würde ich noch rausgreifen. Das eine ist die Priorisierung von Sorgearbeit. Also in Regenbogenfamilien wird die Fürsorge für das Kind häufig an erste Stelle gestellt und wir fragen uns: „Was müssen wir tun, dieses Kind gut versorgen zu können? Und wer möchte was davon machen?” Und dann bleiben noch Aufgaben übrig, logischerweise, die auch irgendwie verteilt werden müssen. Das Geldverdienen zum Beispiel ist in dieser Logik eher etwas, was übrigbleibt. Das muss eben irgendwer machen oder meistens beide, wenn wir jetzt von zwei Eltern ausgehen, aber es steht nicht an erster Stelle. Und die öffentliche Debatte über heterosexuelle Familien funktioniert häufig umgekehrt. Ich glaube auch gar nicht, dass das unbedingt die Realität ist, aber dass es die, ich sage mal, die karrierefokussierte Diskussion ist: „Das Geld verdienen ist das Wichtigste und die Kinderbetreuungsarbeit ist das, was übrigbleibt. Das muss eben die Person machen, die die schlechtesten Partner auf dem Arbeitsmarkt hat.” Das finde ich eine sehr deprimierende Logik. Und ich freue mich sehr darüber, dass es anscheinend in Regenbogenfamilien anders läuft.
Einen weiteren Punkt, den ich noch wichtig fand, ist ein langfristiger Ausgleich von Arbeitsverteilung. Also auch da finde ich wieder spannend, wenn wir uns die Diskussionen anschauen über Gleichberechtigung in heterosexuellen Kleinfamilien, dann ist die Argumentation sehr häufig: „Wir müssen von Anfang an für komplette Gleichberechtigung sorgen. Das liegt daran, dass der Moment, in dem sich eine Schere auftut, zum Beispiel in Bezug auf Gender Pay Gap oder in Bezug auf Freizeit oder in Bezug auf Karrierechancen und so weiter und so fort, das ist der Moment, in dem heterosexuelle Paare Kinder bekommen. Das ist der Moment, in dem sich alles verändert und im Schnitt etabliert sich da eine sehr ungleiche Arbeitsverteilung, die sich dann nie wieder ändert. Die Schlussfolgerung, die viele Politiker:innen und Wissenschaftle:rinnen und Aktivist:innen daraus ziehen, ist: „Wir müssen in diesem Moment intervenieren. Wir müssen in diesem Moment dafür sorgen, dass das von Anfang an anders machen, dass zum Beispiel Väter auch Elternzeit nehmen, dass Mütter möglichst schnell wieder in den Job zurückkehren und so weiter und so fort.” Die Schlussfolgerung finde ich ja plausibel auf Basis dieser Daten.
Aber wenn wir uns die Rollenverteilung, zum Beispiel in lesbischen Wunschfamilien angucken, stellen wir fest, dass diese Logik gar nicht stimmt. Es ist auch in lesbischen Familien mit gemeinsamen Wunschkindern häufig so, dass Elternzeit nicht fifty-fifty verteilt ist, dass in den ersten ein, zwei, drei Jahren nach der Geburt eines Kindes eine Person sich mehr um das Kind kümmert als die andere Person. Das ist üblicherweise so. Der Unterschied ist das, was danach passiert. In lesbischen Wunschfamilien ist es nämlich so, dass nach dieser Phase, in der eine Person sich auf die Familiengründung fokussiert hat und dafür vielleicht beruflich zurückgesteckt hat und so weiter, sich die Rollen umkehren und die andere Person mehr Zeit für die Familie investiert und ihrer Partnerin die Gelegenheit gibt, das wieder aufzuholen. Und das ist ein Muster, das wir in heterosexuellen Familien wirklich fast gar nicht beobachten können. Und das zeigt aber auch eine Rollenverteilung, die sich mal etabliert hat, für die sich Menschen mal entschieden haben im Moment der Geburt, die muss nicht immer so bleiben. Also man kann die auch später noch verändern. Wenn Lesben das können, dann können das natürlich heterosexuelle Paare grundsätzlich auch. Der Punkt ist, sie müssen es tun. Und das passiert nicht.
Natascha Heinisch:
Rollenverteilung und Rollenbilder ist auch ein ganz wichtiger Punkt, zu dem wir noch kommen wollen. Man muss an dieser Stelle auf jeden Fall leider auch noch über Vorurteile natürlich sprechen. Inwieweit haben sich denn Vorurteile gegenüber queeren Familien, queeren Eltern verändert oder auch nicht verändert?
Lisa Bendiek:
Ja, ich habe eigentlich nicht das Gefühl, dass die sich so viel verändert haben, ehrlich gesagt. Mir sind im Großen und Ganzen so drei Erzählungen begegnet: Die erste, das ist die Älteste und die war so wirklich Mainstream bis in die… mindestens 90er-oder auch 2000er-Jahre. Das war die Idee, dass queere Eltern ihren Kindern schaden. Wir machen unsere Kinder auch alle queer, das war die größte Sorge. Und es gibt natürlich nichts Schlimmeres, was man sich vorstellen kann für die Zukunft der Welt, als dass mehr Menschen queer werden. Genau, eine zweite Erzählung, und die habe ich das Gefühl, ist ein bisschen verbreiteter geworden. Die hat die erste so ein bisschen verdrängt mittlerweile, dass es die Erzählung, dass queere Eltern ja ganz normal sind. Also Lesben sind ganz normale Frauen, Schwule sind ganz normale Männer und alles andere ist nicht so wichtig. Das ist natürlich eine Erzählung, die für viele Menschen sehr wichtig ist. Ich habe auch mit vielen queeren Eltern gesprochen, die sich nichts sehnlicher wünschen, als einfach nur eine normale Familie zu sein. Das ist natürlich wichtig, diese Möglichkeit zu haben. Gleichzeitig würde ich sagen, das stimmt nicht. Also wir sind keine normalen Familien, wir sind außergewöhnlich vorbildliche Familien. Das ist meine These und das ist so, würde ich sagen, die dritte Erzählung. Also die, die ich auf den Punkt bringe mit “Lesben sind die besseren Väter”. Und Das ist aber auch die seltenste Erzählung. Also kaum jemand hat vor mir diese These im deutschsprachigen Raum vertreten, und zwar, obwohl sie seit 30 Jahren wissenschaftlicher Konsens ist.
Natascha Heinisch:
Die Erzählung „Queere Eltern schaden ihren Kindern steht einem vollkommen im Gegensatz dazu, dass man festgestellt hat, dass Kinder aus queeren Familien ein besseres Selbstwertgefühl zum Beispiel haben, dass sie mehr Empathie haben und dass sie früher emotionale Kompetenzen entwickeln, obwohl sie ja trotzdem mit mehr Diskriminierung zu kämpfen haben. Wie passt das zusammen?
Lisa Bendiek:
Gar nicht. Also das ist ein großer Widerspruch, wo auch die Forscher:innen, die den festgestellt haben, letztendlich nur mutmaßen können, wie das zusammenpasst. Also wir wissen ja, dass Diskriminierung schadet allen Menschen, die sie erleben. Wir wissen aber auch, dass jetzt im Durchschnitt in Regenbogenfamilien zum Beispiel die Qualität der innerfamilären Beziehungen besser ist, also dass Menschen mehr miteinander reden, dass schwule und lesbische Eltern mit ihren Kindern dann auch mehr über Gefühle reden zum Beispiel. Dass sie auch weniger Wert auf soziale Konformität legen. Also Kinder werden nicht zum blinden Gehorsam erzogen, sondern eher zum Nachdenken, verkürzt gesagt. Und es gibt weniger Gewalt in Regenbogenfamilien als in Heterokleinfamilien. Das alles ist etwas, was Kindern nützt. Und darüber hinaus gibt es viele Regenbogenfamilien, die ja auch wissen, dass ihre Kinder in einer ungewöhnlichen Konstellation aufwachsen und die genau deswegen schon von Anfang an versuchen, ihre Kinder möglichst viel zu stärken. Also ich habe meinem Kind schon Bücher über vielfältige Familienformen vorgelesen, bevor sie überhaupt wirklich sprechen konnte. Und schon zu dem Zeitpunkt habe ich auch gemerkt, dass sie die Bücher besonders gerne mochte, in denen zwei Mamas vorkamen oder in denen irgendwie ihre Realität repräsentiert wurde. Und das ist ja was, was nicht nur ich so mache, sondern viele.
Und zuletzt würde ich sagen, also ein bisschen ist es auch ein statistischer Effekt. Also gerade weil es für queere Menschen oft schwieriger ist, in queeren Konstellationen Kinder zu bekommen, also wenn Menschen zum Beispiel den Weg gehen müssen von Samenspende oder von Adoption oder so, dann ist das natürlich auch mit Aufwand verbunden. Und das ist ein Aufwand, den nicht alle Leute leisten können und das bedeutet, dass tatsächlich Menschen, die in sehr prekären Lebensverhältnissen leben, die also zum Beispiel sehr wenig Geld haben oder keinen sicheren Aufenthaltstitel oder nicht genug Wohnraum oder so, dass die tatsächlich in queeren Konstellationen einfach nicht Eltern werden können. Und das bedeutet, dass im Schnitt Kinder, die in queeren Konstellationen aufwachsen, zum Beispiel seltener in Armut leben oder so. Und das ist natürlich auch was, was dazu führt, dass diese Kinder bessere Chancen haben.
Natascha Heinisch:
Wie blicken denn Kinder, die in queeren Familien aufwachsen, auf Rollenbilder? Einmal sehen sie ja ihre eigene Familie und dann aber auch andere Familien. Was für einen Blick entwickeln die auf traditionelle oder dann auch nicht-traditionelle Rollenbilder?
Lisa Bendiek:
Ja, die meisten Kinder, die in Regenbogen Familien aufgewachsen sind, blicken auf… ja traditionelle Rollenbilder, vor allem mit Irritationen. Und das ist was, worin ich mich selbst auch sehr wiederfinde. Also ich habe zwar heterosexuelle Eltern, aber ich bin aufgewachsen in den 90er Jahren in so einem katholischen Dorf in Essen und mein Vater war Hausmann und meine Mutter hat sehr viel gearbeitet und Karriere gemacht. Das ist also auch eine untypische Familienkonstellation, für die ich ständig blöde Fragen gekriegt habe und ich habe das nie verstanden. Ich fand es immer komisch. Und so ein bisschen finde ich mich sehr wieder in dem, was Kinder aus Regenbogenfamilien dann beschreiben. Also, es gibt ein ganz, ganz tolles Buch, bisher leider nur auf Englisch. Das heißt „Families Like Mine” von Abigail Garner, die ist selbst Tochter eines schwulen Mannes und einer heterosexuellen Frau und hat sehr, sehr viele im US-amerikanischen Raum mit sehr, sehr vielen Kindern gesprochen, die eben auch in solchen Familien aufgewachsen sind und mit erwachsenen Kindern, die in Regenbogenfamilien aufgewachsen sind oder mit queeren Eltern. Und die beschreibt zum Beispiel, dass Söhne lesbischer Mütter versuchen, mit ihrer Partnerin über Gefühle zu reden und dann feststellen, dass die Partnerin das gar nicht kann und total irritiert sind.
Natascha Heinisch:
Weil er ein Mann ist, weil die Frau dann wiederum nur daran gewöhnt ist, mit anderen Frauen über ihre Gefühle zu reden?
Lisa Bendiek:
Ja, oder auch, weil sie das nicht in dem Ausmaß gelernt hat, wie er das gelernt hat. Also das Grundmuster ist: Kinder, die in Regenbogenfamilien aufgewachsen sind, gehen von Gleichberechtigung als Norm aus und stellen dann fest, das ist keine Norm in dieser Gesellschaft. Und das sorgt für einiges an Irritation und kann auch total schwierig sein, sich dann zurechtzufinden in dieser Welt. Es ist aber, würde ich sagen, trotzdem in erster Linie ein Vorteil zu wissen, dass Beziehungen auch gleichberechtigt und liebevoll sein können oder dass sie in der Regel gleichberechtigt und liebevoll sein sollten. Es ist nur nicht in allen Situationen einfach, das dann auch durchzusetzen in dieser Welt.
Natascha Heinisch:
Wo und wie entstehen denn diese traditionellen Verteilungen? Die sind ja auch nicht einfach da, aber sie können irgendwie auch so schwer durchbrochen werden; an welcher Stelle… wird das übernommen von den Eltern oder wo und wie entsteht diese Rollenverteilung im klassischen Sinn, in Anführungszeichen, wie man sie kennt?
Lisa Bendiek:
Ich glaube gar nicht, dass es einen Punkt gibt, an dem die entsteht oder auch einen Punkt, an dem man sie verhindern müsste. Sie ist ja eigentlich überall. Also in Kinderbüchern, in der Arbeitsverteilung von heterosexuellen Herkunftseltern, aber auch in der Struktur des Arbeitsmarktes. Ich glaube nicht, dass wir das an einem Punkt festmachen können. Und wenn du fragst, warum ist das so schwer, die zu verändern, dann würde ich sagen, auch deswegen, weil diese Rollenverteilung einfach überall sind. Das bedeutet aber schon auch, wir können sie potenziell überall verändern. Und es ist nicht so wahnsinnig wichtig, wo wir anfangen. Hauptsache, wir fangen irgendwo an. Und je früher wir anfangen in der Biografie, desto einfacher ist es natürlich für die Person. Also wenn ich 20 Jahre lang Hausfrau war und drei Kinder habe und niemals finanziell unabhängig war, dann ist es aus dieser Position heraus natürlich schwieriger, die Rollenverteilung zu verändern, als wenn ich 25 bin und gerade drüber nachdenke mein erstes Kind zu bekommen. Trotzdem ist auch das nicht unmöglich. Und ich würde wirklich alle heterosexuellen Eltern, die feststellen, wir sind jetzt irgendwie reingerutscht in eine Rollenverteilung, die wir eigentlich nie wollten oder ich bin abhängiger, als ich mir das je hätte vorstellen können oder so, ich würde die alle ermutigen und sagen: „Das ist vielleicht ärgerlich, aber es ist trotzdem nicht zu spät. Es gibt so viele Beispiele von Menschen, die aus einer schwierigen Situation heraus es trotzdem geschafft haben, was zu verändern.” Wir müssen es eben wollen. Und damit das gelingt, ist es schon wichtig, vielleicht sogar unverzichtbar, dass beide Beteiligten in einer Konstellation das wollen.
Natascha Heinisch:
Das heißt, wenn es überall ist, gibt es auch keinen speziellen Lebensabschnitt, wo man jetzt besonders ansetzen müsste, neue Rollenbilder normal werden zu lassen, sondern im Endeffekt geht jeder Lebensabschnitt, aber je früher, desto besser.
Lisa Bendiek:
Das wäre meine Antwort darauf, ja. Also ich arbeite vor allem pädagogisch, von daher kann ich natürlich einiges sagen zur Veränderung von Rollenbildern im pädagogischen Bereich in Bezug auf Kinder und Jugendliche. Ich finde es aber auch, ehrlich gesagt, total unfair, immer so die Lösung gesellschaftlicher Probleme an die nächste Generation zu delegieren und zu sagen: Naja, wir machen das mal anders bei der nächsten Generation und die richten das dann schon. Und ich glaube auch nicht, dass das so funktioniert, weil natürlich sich junge Menschen auch orientieren an der Realität, die Ältere ihnen vorleben. Und genau deswegen finde ich es auch sehr wichtig, dass Menschen in einem höheren Alter sich noch entscheiden, was zu verändern, weil sie damit auch Vorbilder sind.
Natascha Heinisch:
Da sind wir dann wieder beim Wollen, wie du gerade gesagt hast, man muss es sehen und man muss es dann auch verändern wollen. Ich würde gerne noch sprechen über den Zusammenhang zwischen antifeministisch und antilesbisch. Gibt es einen Zusammenhang? Und wenn ja, wie sieht der aus?
Lisa Bendiek:
Ich verstehe Queerfeindlichkeit als einen Teil von Antifeminismus. Und Antifeminismus ist so ein Sammelbegriff für Ideologien und politische Bewegungen, die kämpfen gegen eine, ich würde sagen, emanzipatorische Veränderung von Geschlechterrollen. Also Antifeminist:innen behaupten entweder, dass es keine Diskriminierung auf Basis von Geschlecht gibt, also dass sich die jammernden Feministinnen das alles einfach nur einbilden, beziehungsweise, dass Männer in Wahrheit das benachteiligte Geschlecht sind auf allen Ebenen, oder sie vertreten eine patriarchale Geschlechterordnung als natürlich oder gottgewollt oder so. Genau, und in dieser Ideologie muss das Weltbild heteronormativ sein, das heißt, für queere Lebensentwürfe gibt es keinen Platz. Antifeminismus ist also immer auch queerfeindlich. Und gleichzeitig gibt es queerfeindliche Ideen ja auch außerhalb von jetzt Bewegungen, die sich klar als antifeministisch oder rechts positionieren Und ich würde sagen, dass jegliche politische Bewegungen und jegliche Gesetze und Veränderungen und so weiter, die die Freiheit queerer Menschen einschränken, letztendlich auch die Freiheit aller Frauen einschränken, weil es immer darum geht, geschlechtliche Selbstbestimmungen zu verhindern. Und das ist etwas, was letztendlich uns allen auf die Füße fällt.
Natascha Heinisch:
Wir haben ja jetzt schon festgestellt unterm Strich, dass es den Kindern in Regenbogenfamilien nicht in dem Sinn besser per se geht, aber dass die Eltern auf jeden Fall sehr viel zufriedener sind in ihrer Paarbeziehung, weil sie sich die Lohnarbeit anders aufteilen oder so aufteilen, dass sie beide damit über den Verlauf der Zeit damit zufrieden sind, dass die Sorgearbeit anders verteilt wird. Warum teilen sich Regenbogenfamilien, sowohl die bezahlte als auch die unbezahlte Arbeit, gleichmäßiger auf, als Heterofamilien das machen? Und wie gehen sie das an?
Lisa Bendiek:
Zu der Frage: Warum machen wir das? Na, weil wir es wollen und weil wir es wichtig finden. Und ich glaube, der strategische Vorteil, den wir dann in der Regel haben, ist, dass wir uns darin einiger sind. Also wenn beide Beteiligte davon überzeugt sind, dass eine Gleichberechtigung wichtig ist, dann ist sie natürlich einfacher umzusetzen.
Natascha Heinisch:
Was ich vorhin schon fragen wollte, ob das auch mit eine Rolle spielt, weil man ja auch viel in Kommunikation sein muss, beide müssen sich darüber klar sein, was sie gerne wollen, dass man auch konfliktbereiter, also dass, wenn man nicht auf dem gleichen Punkt ist, dass man aushandeln muss und bereit sein muss, unangenehme Gespräche zu führen, dann wiederum auf was zu kommen, womit beide zufrieden sind. Also so ein bisschen auch Kommunikationsbereitschaft und Konfliktbereitschaft, aber im positiven Sinne Konflikt.
Lisa Bendiek:
Ja, das glaube ich schon. Also nur wenn es ein gewisses Ausmaß an Gleichberechtigung gibt, macht es ja überhaupt auch einen Sinn, sich zu streiten. Also ich muss mich ja nicht streiten mit einem Menschen, der im Zweifelsfall sowieso immer das letzte Wort hat. Das ist ja einfach nicht konstruktiv. Und tatsächlich gibt es dazu auch Forschung, nicht in Bezug auf Familien, aber in Bezug auf Paare, also schwule, lesbische oder heterosexuelle Paare und der Frage, wie sie mit Konflikten umgehen. Und da haben zwei Vorscheininnen sehr umfangreich untersucht – John und Julie Gottmann heißen die – die haben tatsächlich Leute eingesperrt in so ein Studio, also Paare, und die verkabelt und ihre physiologischen Reaktionen gemessen und ihre Gesichtsausdrücke aufgezeichnet und können mittlerweile nach etwa einer Viertelstunde Beobachtung ziemlich gut vorhersagen, wie viele Jahre diese Paare noch zusammenbleiben und wie glücklich sie dabei sind. Das ist extrem beeindruckend. Und die haben dann irgendwann auch angefangen, schwule und lesbische Paare mit einzubeziehen in ihre Forschungen und stellen fest, dass wirklich die Arten und Weisen, wie Konflikte verhandelt werden, sich sehr unterscheiden. Also dass Menschen in queeren Beziehungen sehr viel weniger dominant auftreten, dass die Leute, die Konflikte ansprechen, dabei freundlicher sind, aber auch, dass sie Gegenseite darauf sehr viel freundlicher reagiert.
Ich glaube, Schwule und Lesben benutzen dreimal so häufig Humor wie heterosexuelle Paare in Konfliktgesprächen. Also es sind wirklich sehr beeindruckende Unterschiede. Und dieses heterosexuelle Forscher:innenpaar kommt letztendlich zum Schluss, dass heterosexuelle Paare sehr viel zu lernen haben von schwulen und lesbischen Paaren.
Natascha Heinisch:
Das ist auf jeden Fall was, was wir alle aus dieser heutigen Folge mitnehmen können, denke ich auch. Untersuchungen im Bereich queerer Eltern gibt es ja schon länger, aber warum ist das erst jetzt so in den Fokus gerückt?
Lisa Bendiek:
Das frage ich mich auch ständig. Und die Frage ist ja auch, wessen Fokus? Also, als ich angefangen habe zu recherchieren, war ich total positiv überrascht über die große Anzahl von unglaublich spannenden Büchern über lesbische Elternschaft aus den 90er Jahren. Da gibt es Sammelbände, Erfahrungsberichte auf Deutsch, aber auch auf Englisch und sicherlich auch auf anderen Sprachen. Also, wir hatten diese Debatte schon mal. Es erinnert sich nur kaum jemand dran und ich habe es auch nur festgestellt, weil ich mich in Bibliotheken auf die Suche gemacht habe. Ja, ich finde es auch wirklich sehr unverständlich. Kann ich dir nicht beantworten.
Natascha Heinisch:
Gut, wir können und müssen ja auch nicht alle Fragen in diesem kleinen Podcast klären, aber ich finde es sehr schön, dass wir heute das Schlaglicht so auf dieses Thema haben werfen können. Ich mache in jeder Folge auch immer zwei Fragen, die ich all meinen Gästen und Gästinnen stelle. Die erste ist: Welche weiblich gelesene Person, egal aus Politik, Kultur, Geschichte und so weiter, lebend, Verstorben, das kannst du ganz frei wählen. Auf wen würdest du gerne einmal den Fokus richten und warum? Wen möchtest du unseren Hörerinnen und Hörern als Herz legen?
Lisa Bendiek:
Das ist schwierig, aber ich muss mich ja trotzdem entscheiden. Ich würde euch und Ihnen, Audrey Lord ans Herz legen. Sie ist eine der berühmtesten lesbischen Mütter der Geschichte, eine schwarze US-amerikanische Autorin und Aktivistin, die schon in den 70er, 80er Jahren Texte über queere Elternschaft geschrieben hat. Ich habe einen dieser Texte in der Bibliothek gefunden bei einer Recherche und war überwältigt davon, wie tagesaktuell der ist. Also da denkt sie auch darüber nach, wie wir in einer Zeit von autoritären Bewegungen und zunehmender Queerfeindlichkeit und zunehmendem Rassismus eigentlich Kinder erziehen können in verantwortungsvoller Art und Weise, ohne unsere Kinder zu verschrecken, aber auch ohne sie zur Realitätsverleugnung zu erziehen. Das finde ich extrem aktuell. Außerdem hat sie sehr, sehr viele großartige Gedichte geschrieben und ich finde, Lyrik ist eine sehr elternalltagskompatible Form der Literatur. Es dauert nicht lange, sie zu lesen. Das ist auch der Grund, weshalb Audrey Lord so viel Lyrik gelesen und geschrieben hat, sagt sie selber. Und ja, gute Gedichte machen sehr viel Hoffnung und ich glaube, Hoffnung brauchen wir.
Natascha Heinisch:
Auf jeden Fall. Und dann noch die Frage, die wir ganz am Ende unserer Folge stellen: Was bringt dich aktuell zum Fauchen und was bringt dich zum Schnurren beim Thema equal pay?
Lisa Bendiek:
Ja, ich würde mit dem Schnurren anfangen und möchte einen Fun Fact mit euch teilen, der ziemlich wenig bekannt ist. Und zwar sind Lesben weniger vom Gender Pay Gap betroffen als alle anderen Frauen. Es gibt umfangreiche Studien dazu, dass sie etwa sieben Prozent mehr Geld verdienen als heterosexuelle Frauen in vergleichbaren Lebenssituationen. Forscher:innen haben sich lange überlegt, woran das liegt. Es gibt bestimmt nicht nur einen Grund, aber ein wichtiger Grund ist tatsächlich die Verteilung von Sorgearbeit. Einerseits haben im Schnitt Lesben seltener Kinder und andererseits, wenn sie denn Kinder haben, dann haben sie die üblicherweise mit unterstützenden Partnerinnen. Und ja, Das ermöglicht sehr viel mehr beruflichen Aufstieg und berufliche Selbstverwirklichung. Zum Fauchen bringt mich: Alle anderen queeren Personen, also schwule Männer, bisexuelle Männer, bisexuelle Frauen und Transpersonen, haben nicht nur unter dem Gender Pay Gap zu leiden, also im Fall der Frauen, sondern auch unter dem Sexuality Pay Gap. Also die verdienen noch viel weniger Geld als heterosexuelle Menschen in einer vergleichbaren Position. Ja, es gibt also auch leider, wenn wir uns queere Personen angucken, sehr viel mehr Grund zum Fauchen als zum Schnurren.
Natascha Heinisch:
Ja, das stellen wir leider in vielen unserer Folge immer wieder fest, auch wenn es schöne Punkte festzuhalten gibt, dass auf jeden Fall der Berg an Arbeit noch sehr viel größer ist als das, was uns schon Freude verschafft.
Ich habe mich sehr gefreut, dass du heute da warst. Ich habe auch für mich persönlich sehr viel mitgenommen, den Humorpunkt für die Diskussionen, die ich … Ich habe keine Kinderarbeit, für Diskussionen im Haushalt, mit mehr Humor in die Kommunikation und in die Diskussion hineinzugehen. Ich hoffe, ihr da draußen habt auch ganz, ganz, ganz viel mitnehmen können. Ich definitiv. Falls ihr Fragen an uns habt zur heutigen Folge oder allgemein zum Thema equal pay, dann könnt ihr uns sehr gerne schreiben an info@equalpayday.de und uns natürlich auch sehr gerne folgen auf Social Media, wo wir unterwegs sind unter dem Hashtag #EPD. Dann sage ich dir, Lisa, vielen Dank heute für diese wunderbaren Einblicke, vielen Dank, dass du da warst.
Lisa Bendiek:
Ja, danke für die Einladung. Ich hatte auch Spaß.
Natascha Heinisch:
Und euch da draußen ein fröhliches Tschüss.
Lisa Bendiek:
Tschüss.






