Podcats – der Podcast zu equal pay Folge 18 – Andreas Kemper – Transkript

Wir wollen in unserem Podcast darüber sprechen, was passieren muss, damit in Deutschland Frauen und Männer für gleiche und gleichwertige Arbeit endlich auch gleich bezahlt werden.
Wie stellen wir die Weichen auf gerechte Bezahlung in der Arbeitswelt von morgen? Wie schaffen kürzere Arbeitstage gleiche Karrierechancen für Frauen und Männern? Was erfahren wir aus den Drehbüchern für Filme und Serien über unsere Vorstellungen von der Arbeit? Und wie wird IT inklusiv? Das alles wollen wir mit diesem Podcast herausfinden.
Wir freuen uns, wenn Ihr Mal reinhört! Garantiert ohne Kater danach!

Alle Folgen hier.

Natascha Heinisch:

Heute habe ich mal keine gewundene und ungewöhnliche, Bögen schlagende Einleitung für euch. Heute fange ich einfach direkt an. Ich freue mich, mit Andreas Kamper heute einen Experten bei mir in der Folge zu haben. Andreas ist Publizist und Soziologe und beschäftigt sich intensiv mit den Themen Proprieterismus, Antiklassismus, Klimakatastrophe, Faschismus und Antifeminismus.

Hallo Andreas, schön, dass du da bist.

 

Andreas Kemper:

Ja, hallo.

 

Natascha Heinisch:

Ich war ein bisschen aufgeregt, muss ich zugeben, vor unserer heutigen Folge. Das Thema „Gender Pay Gap und Lohnungleichheit ist ja an sich schon, sage ich mal, kein Positives. Jetzt haben wir heute ein sehr ernstes Thema in unserer Podcast-Folge. Ich freue mich, dass du zu diesem wichtigen Thema bereit bist, mit uns zu sprechen. Ich würde zunächst anfangen mit traditionellen Familienbildern, traditionellen Bildern von Männlichkeit, Weiblichkeit. Ich habe manchmal so ein bisschen das Gefühl, die Welt wird immer unsicherer gefühlt und auch real und ob vielleicht der eine die andere sich an, zum Beispiel, traditionellen Rollenbildern jetzt lieber festhält, weil so viele andere Dinge unsicher geworden sind. Dass man sagt: „Ach Mensch, die Stärke des Mannes ist aber was. Das war schon immer so und es bleibt immer so. Die Fürsorglichkeit der Frau, das ist auch was Schönes, das bleibt immer so. Gibt es den Zusammenhang oder ist das was, was ich mir selber zusammengereimt habe?

 

Andreas Kemper:

Nein, das würde ich schon so sagen, aber wir müssen das sehen von einer größeren Entwicklung. Die größere Entwicklung ist ja, dass wir seit den 60er Jahren eine sehr starke Veränderung haben im Geschlechterbild, in der eigenen Wahrnehmung der eigenen Existenzweise. Und in den 50er Jahren hatten wir noch ein Weltbild von Frauen oder auch eine strukturelle, auch gesetzlich verankert, sehr, sehr traditionelle Lebensweisen, Existenzweisen, wo man auch gar nicht so ausbrechen konnte. Und das hat sich ja sehr positiv eigentlich geändert in den letzten Jahren, also seit den 60er Jahren. Das ist halt so die ganz große Entwicklung. Also zumindest in Westeuropa hat sich das so geändert, in anderen Ländern aber auch sehr stark. Und da sind viele, die da die nicht mitwollen, die dann sagen, wir wollen wieder zurück, wir wollen da eine Sicherheit. Und vor allen Dingen Männer natürlich, die dann sagen, hier, wir wollen wieder das normale Modell. Ist ja auch klar, sie haben davon auch stärker profitiert. Das ist wieder im Kommen sehr stark, aber insgesamt ist es halt nicht so, dass die jetzt dominieren, sondern im Gegenteil, es gibt immer noch eine Tendenz, wo halt diese sogenannten traditionellen Rollenbilder sich auflösen.

 

Natascha Heinisch:

Würdest du sagen, dass man mit Feminismus so traditionelle Rollenbilder, die können auch … Stärke kann auch was Positives grundsätzlich sein und Fürsorglichkeit ist auch grundsätzlich mal positiv. Nicht so toll ist, wenn man es nur einem Geschlecht zuschreibt. Aber lässt sich so was Traditionelles überhaupt vereinbaren mit feministisch sein?

 

Andreas Kemper:

Also nicht in der Zuschreibung. Natürlich, Männer dürfen auch stark sein oder Frauen dürfen auch fürsorglich sein, aber ein Problem ist ja, wenn das zugeordnet wird. Ich komme ja selber aus der profeministischen Männerbewegung und für uns war das damals wichtig, dann eben auch über Gefühle reden zu können, emotional zu sein und so weiter. Also sich auch in die zweite Reihe zu stellen, gerade wenn es um Feminismus geht. Das ist für mich jetzt heute auch in der Sendung wichtig, dass ich jetzt deswegen beziehe ich mich sehr stark auf Antifeminismus. Ich sehe mich selber als Anti-Antifeminist, damit ich nicht Frauen erkläre, wie Feminismus geht, aber ich kann halt gegen Antifeminismus kämpfen. Für Männer finde ich das eben wichtig, sich da zurückzunehmen und umgekehrt Frauen, dass sie sich auch mehr zutrauen. Es gibt dieses sogenannte Imposter-Syndrom, dass Frauen denken, sie haben das gar nicht verdient. Also nicht verdient, nicht nur im Sinne von Equal Pay Day, sondern auch anerkennungsmäßig und so weiter. Genau, das lässt sich … So eine Zuschreibung: „Frauen sind so, Frauen sind von der Venus und Männer sind vom Mars. Das lässt sich letztlich mit Feminismus, denke ich, nicht vereinbaren.

 

Natascha Heinisch:

Kann ich gleich doppelt und dreifach noch mal sagen, wie schön, dass du da bist, weil wir tatsächlich es oft sehr schwer haben, männliche Stimmen für dieses Thema zu finden. Wir haben auch ein paar Folgen, wo ich mit Männern sprechen darf, aber tatsächlich ist das, offen feministische Männer zu finden, oft tatsächlich auch nicht so einfach. Du hast den Begriff Antifeminismus jetzt gerade auch schon genannt. Da würde ich gern zur Definition erst mal kommen. Wer verwendet denn den Begriff? Benutzt die Rechte zum Beispiel den Begriff Antifeminismus? Und wenn nicht, was wird vielleicht stattdessen benutzt? Es gibt ja neben Antifeminismus auch Sexismus, Misogynie, Chauvinismus, Machismo. Vielleicht erst mal eine Einordnung des Begriffs Antifeminismus.

 

Andreas Kemper:

Ja, Antifeminismus wird von allen Seiten verwandt. Es gibt tatsächlich schon sehr früh, auch in den 30er Jahren, schon antifeministische Selbstzuschreibungen von Antifeministen. Und vor zehn Jahren gab es so Antifeminismuskongresse und das ist eine Selbstzuschreibung auch. Das ist nicht so, dass sie sagen: „Nein, wir sind auf gar keinen Fall antifeministisch.“ Aber das muss ich gleich wieder zurücknehmen, weil es auch viele antifeministische Kreise gibt und Strömungen und Ideologien, die sagen: „Nein, wir sind keine Antifeministen. Im Gegenteil, wir sind sogar feministisch.“ Es gibt bestimmte antifeministische Gruppierungen, die für sich selber in Anspruch nehmen, der wahre Feminismus zu sein. Es hat jetzt gerade im Kölner Raum noch im Rheinland eine Tagung gegeben von einem AfD-nahen Frauenkongress und der hat auch für sich in Anspruch genommen, die wahren Feministen zu sein. Und das geht dann einher mit Formulierungen, wie der Feminismus eigentlich was Gutes ist, aber dass es so Radikal-Feministinnen gibt, die übertreiben. Und Antifeminismus, wie ich den definiere, da muss man auch noch mal unterscheiden. Es gibt einen moderneren Antifeminismus und einen Älteren. Der ältere Antifeminismus sagt ganz klar, es gibt die Überlegenheit des Mannes, so generell geistig und körperlich natürlich. Und das ist halt gut so, das ist die natürliche Geschlechterordnung. Männer sind eben führend und Frauen sind eher, eher dafür, eher für die Familie, für die Kinderaufzucht und so weiter, für die Reproduktionsarbeiten.

Aber so wird heute nicht mehr argumentiert eigentlich. Oder es kommt auch wieder ein bisschen, aber das ist nicht so die gängige Definition oder die gängige Herangehensweise vom modernen Antifeminismus, sondern der sieht sich heute eher als Opferideologie. Der geht nicht ganz so offensiv vor, sondern eher so tricky, also eher so, „Heute sind die Männer die Opfer von einem übermächtigen Feminismus, von einem Staatsfeminismus. Die Männer, Männlichkeiten, Väter sind alles Opfer und das muss zurückgefahren werden.“ Da gibt es dann die Väterrechtsbewegung, Männerrechtsbewegung oder auch die Incel-Bewegung, würde ich ja auch noch in diesen Kreis mit reinnehmen, die beklagen, dass sie keine Frauen abkriegen und daraus dann sehr viel Hass und Gewalt ableiten. Berechtigt in ihren Augen. Und dann gibt es daneben noch neben dieser maskulistischen Antifeminismus, gibt es dann noch so einen familistischen Antifeminismus, der sagt, heute ist die Familie Opfer, die traditionelle Familie von Vater, Mutter, Kind, die ist halt Opfer von einer sogenannten Homolobby. Das ist auch wieder so eine Verschwörungsideologie. Diesmal ist es nicht so der Staatsfeminismus, diesmal ist es dann eher so eine international global agierende homosexuelle Verschwörung, die dann die traditionelle Familie von Vater, Mutter, Kind zerstören will, dann…   was weiß ich zu machen, keine Ahnung. Die wollen an die Kinder ran. So damit wird dann so argumentiert und die kann man so ein bisschen auseinanderhalten. Die argumentieren sehr ähnlich mit gleichen Schlagwörtern wie Frühsexualisierung, Genderwahn. Es gibt eine ganze Reihe. Es gibt so 26, 27 verschiedene Schlagwörter, Narrative, wie wir auch sagen, also so bestimmte Schlagwörter, die halt immer wiederkommen, die dann benutzt werden. Political Correctness oder Wokeness, wird man heute dann sagen. Genau, dieser Familismus, da würde ich dann die Lebensrechtsbewegung in Anführungszeichen, also die Anti-Abtreibungsbewegung dazurechnen, aber auch die Bewegung gegen die Ehe für alle, gegen die Sexualaufklärung, gegen Gendersprache. Bei Gendersprache ist dann quasi auch wieder, Maskulismus ist da auch anzutreffen. Die wollen auch wieder die „normale“ Sprache und nicht diese Gendersprache, wie die das nennen.

 

Natascha Heinisch:

Jetzt hättest du schon so ein bisschen Einblick gegeben, wann das entstanden ist oder wie sich das entwickelt hat. Vielleicht kannst du noch mal grob umreißen, die Entwicklung des Antifeminismus über die letzten Jahrzehnte. Abgesehen von den, du hast ja gesagt, die Schwerpunkte, die sich vielleicht verändert haben, weil man mit den ganz glatten alten Dingen nicht mehr weiterkommt, verlegt man sich jetzt vielleicht eher auf die Opferperspektive. Aber ja, wie sich das Ganze über die Jahre in seinem Schwerpunkt vielleicht verändert hat.

 

Andreas Kemper:

Da gibt es gar nicht so viele Schritte. Ich denke, bis zu den 50er Jahren war das sehr ähnlich alles. Da wurde einfach die Vorrangstellung des Mannes als Oberhaupt der Familie auch behauptet und wir hatten ja auch tatsächlich diese Gesetzgebung noch bis in die 70er Jahren hinein, wer in der Familie das Sagen hat. Es gab auch bis in die 70er Jahren hinein ganz klar nur sehr wenige Professorinnen, sehr wenige Menschen in der Wirtschaft, die an führender Stelle waren. Das hat sich auch gewandelt. Ist immer noch nicht gut, aber ist besser geworden, aber noch viel Luft nach oben, würde ich sagen. Und das war tatsächlich bis 68. Und 68 ist was aufgebrochen. Da kam auch eine neue starke Frauenbewegung auf und da ging es dann zuerst um Fragen wie Abtreibung, die autonome Frauenbewegung, die dann auch eigene Frauenläden hatte, eigene Frauenzusammenschlüsse und so weiter. Und der Antifeminismus war damals eigentlich noch gar nicht so zusammengeschlossen. Es gab immer natürlich Bewegung gegen den Feminismus, auch mit der Gründung des ersten Familienministeriums von Würmeling, Minister Würmeling. Der hat gesagt, das Frauenministerium wird gegründet als Bastion gegen die emanzipatorische Frauenbewegung. Das heißt, das Familienministerium war eine antifeministische Organisation am Anfang. Und so richtig zusammengeschlossen als Bewegung hat sich das dann einerseits als Männerrechtsbewegung in Deutschland eigentlich erst ab 2000. Da haben wir in Deutschland diese Männerrechtsbewegung, die mit der Vaterrechtsbewegung fordert, dass Männer und Väter mehr Rechte haben, aber gegen Frauen gerichtet. Das ist nicht die Männerbewegung, das muss man unterscheiden, Männerbewegung, Männerrechtsbewegung. Die Männerbewegung war eigentlich profeministisch, ursprünglich quasi über war das der männliche Arm der Frauenbewegung und die Männerrechtsbewegung dann eher dagegen. Und mit der Entstehung der queren Bewegung, die ist ein bisschen später stärker geworden als die Frauenbewegung. Also das ging auch ganz eng miteinander einher, aber es war ein bisschen zeitversetzt und auch von den Erfolgen her zeitversetzt. Da hat sich dann auch eine starke Anti-Homosexuellen-Bewegung mitgegründet gegen Ehe für alle. Das ist ja auch klar. Ich meine, wenn gar nicht auf der Tagesordnung steht, dass eine Ehe für alle eingerichtet wird, dann muss man da auch keine antifeministische Bewegung gegen aufbauen. Das ist dann halt erst 2005 oder nee noch später, 2010 hat das eigentlich erst angefangen mit Bewegung gegen Ehe für alle und diese Demos für alle und so was, was es da alles gab. Und das wurde sehr stark organisiert vom Adel in Deutschland, also von Adelsverbänden, von Adeligen, die miteinander verwandt, verschwägert sind. Also auch schon die Lebensrechtsbewegung aus den 90er Jahren, die Mitte der 80er Jahre entstanden ist.

Die war auch sehr stark dominiert vom Adel, also Johanna von Westfalen und ihre Cousine Elisabeth von Lüninck, deren Tochter Hedwig von Beverfoerde. Und das waren vor allen Dingen Adelige, die mit der katholischen Kirche im Zusammenhang waren. Die haben das ganz stark aufgebaut, auch bei der Caritas damals gegen den Beratungsschein, wo es halt um Abtreibung ging, brauchte man einen Beratungsschein und den hat die katholische Kirche irgendwann nicht mehr ausgestellt. Und das waren auch Adelige in der katholischen Kirche, die das durchgesetzt haben, dass es keinen Beratungsschein gibt. Also das sind wirklich Adelsnetzwerke. Von Heeremann ist da wichtig, die Ballestrems, die Gloria von Thurn und Taxis, Beatrix von Storch und ihr Ehemann Sven von Storch, Paul von Oldenburg von der TFP. Also eine ganze Reihe von Adeligen, die dort in dieser familistischen Bewegung für die sogenannte traditionelle Familie von Vater, Mutter, Kind wichtig sind. Aber das ist halt nur dieser familistische Flügel. Daneben gibt es, wie gesagt, noch den maskulistischen. Und da bei diesem maskulistischen Flügel kann man auch noch mal unterscheiden: einerseits eine Männer-und Väterrechtsbewegung, die sich sehr stark darstellen als Emanzipationsbewegung, die diskriminiert werden und auch ganz ähnliche Begrifflichkeiten übernommen haben, auch aus der Antidiskriminierungsbewegung. Die versuchen halt, mit Kongressen anerkannt zu werden, mit Tagungen und so weiter. Daneben gibt es dann aber noch mal so eine sehr viel radikaler auftretende maskulistische Bewegung, die auch gar nicht diese Anerkennung sucht, sondern sich selber vergewissert, wie wichtig doch Männlichkeit ist. Da sind wir dann eben bei bestimmten Teilen von der AfD wie Björn Höcke, der dann sagt: „Ja, wir haben unsere Männlichkeit verloren. Wir müssen unsere Männlichkeit wiederherstellen.“ Und das geht dann in Richtung von so einer soldatischen Männlichkeit oder so einer faschistischen Männlichkeit, die dann auch wiederum andockt an diesen Bildern von dieser Incel-Bewegung, die so vom Alpha-Mann ausgehen. Es gibt den Alpha-Mann. Der Alpha-Mann, der kann alle Frauen kriegen aufgrund seines Auftretens, aufgrund seiner Körperlichkeit und so weiter. Das sind so Bilder von einer bestimmten hypermaskulinen Männlichkeit, die dann dort gefordert wird.

 

Natascha Heinisch:

Inwieweit ist denn Antifeminismus eine Brücke hin zum Rechtsradikalismus, oder ist das eine ein Weg in das andere oder die laufen, sage ich mal, so ein bisschen parallel zueinander und überschneiden sich dann an ein paar Stellen, wo sie dann besonders gut Synergien schaffen?

 

Andreas Kemper:

Ja, da musst man erst mal hinterfragen, was heißt eigentlich Rechtsradikalismus oder Rechtsextremismus? Ich sehe da so drei verschiedene Strömungen. Ich sehe einmal natürlich so eine faschistisch-völkische Strömung. Da kann man einfach Klaus Theweleit zum Beispiel empfehlen, Männer-Fantasien. Der hat für den Nationalsozialismus schon herausgearbeitet, wie sehr der Nationalsozialismus mit einer bestimmten männlichen Körperlichkeit eigentlich einhergeht, mit so einer soldatischen Männlichkeit. Das ist immer eng miteinander verknüpft und das sieht man auch heute beim Flügel der AfD, dort treten dann zum Beispiel… der sehr eng verbunden ist, zum Beispiel mit Sezession oder mit Institut für Staatspolitik in Schnellroda. Die haben einen eigenen Verlag und geben dann Bücher raus von Leuten wie Jack Donovan, der fordert, dass Männer mehr wieder gewalttätiger werden müssen. Violence is golden, also Männlichkeit ist was Gutes, aber Gewalt ist auch was Gutes. Männlichkeit und Gewalt gehören zusammen und wir brauchen mehr Gewalt und mehr Männlichkeit. Das ist halt diese faschistische Bewegung, die Gewalt als etwas Tolles sieht und in dem Zusammenhang dann auch Männlichkeit als etwas Tolles sieht.

 

Natascha Heinisch:

Um sein Land zu schützen oder das Land zu schützen, die Familie zu schützen oder Feinde zurückzudrängen?

 

Andreas Kemper:

Genau, das ist halt das Recht des Stärkeren, dieses ganze Modell dieser Macchiavellismus, der da drin steckt, aber auch, das kann man auch psychoanalytisch erklären, sind wir wieder bei Theweeleit. Also ich glaube, das lohnt sich gar nicht, da jetzt wirklich argumentativ zu fragen, warum eigentlich, sondern ich glaube, das ist dann tatsächlich eher, das würde Theweleit auch sagen, da geht es gar nicht Ideologie, sondern da geht es halt eigentlich den Körper. Er sagt, das hat sehr auch mit Gewalterfahrung zu tun. Aber das einfach als Phänomen ist diese soldatische Männlichkeit sehr stark verknüpft mit diesem faschistischen Verständnis. Aber der Faschismus ist nicht die einzige rechte Strömung. Es gibt daneben noch so einen Rechtskatholizismus oder so eine rechte Religiosität, so einen rechter Fundamentalismus, und der funktioniert anders. Da ist Gewalt natürlich nicht an erster Stelle, sondern da spielen dann sehr patriarchale Vorstellungen, die dann religiös begründet werden. Das ist eine wahre Weiblichkeit ist eine Mutterschaft und der Mann ist dann halt, hat dann auch bestimmte Rollen, die dann aus der Bibel herausgelesen werden. Und dann gibt es aber noch eine dritte Strömung und das ist dann halt eher so eine ultrawirtschaftsliberale Strömung. Die wird oft vergessen. Das sind diese sogenannten Libertarians, die sich jetzt zum Beispiel auch in Argentinien finden lassen mit Javier Milei.

Javier Milei ist ja der neugewehrte Präsident von Argentinien und der hat ein ganz klar antifeministisches Weltbild. Der hat jetzt gerade die sogenannte Gendersprache in den Behörden verboten und der tritt auch ein, dass Abtreibung ab der Befruchtung quasi komplett verboten wird. Ansonsten ist er so ein Wirtschaftsliberaler, will Steuern abschaffen, will Sozialhilfe abschaffen und so weiter. Das ist dann halt eher so eine radikalisierte FDP. Also nicht FDP, sondern eine radikalisierte FDP. Noch sehr viel Neoliberaler als das, was es bei der FDP so gibt. Das ist auch rechts. Das rechts bedeutet nicht einfach nur Rassismus oder Faschismus, sondern man meint auch eher so was wie Ungleichheitsideologien. Da gibt es eben diese Ungleichheitsideologie von so einer sehr krass wirtschaftsorientierten Ungleichheit und eine religiös gedachte Ungleichheitsideologie und dann eben eine faschistische, völkische Ungleichheitsideologie. Das sind diese Ungleichheitsideologien. Die sind alle antifeministisch und die finden aber auch in der gleichen Sprache zusammen. Die sprechen quasi die gleiche Sprache und sind dann auch bei den Demonstrationen gleichzeitig auch alle da. Und irgendwo gibt es dann natürlich Unterschiede, sonst müsste man die auch gar nicht unterscheiden, aber die kämpfen schon sehr eng zusammen.

 

Natascha Heinisch:

Mit welchen Argumenten gewinnen diese Strömungen denn Zulauf? Jetzt gerade bei den religiös-zentrierten Strömungen tue ich mir so ein bisschen schwer, mir vorzustellen, wie die an junge Leute kommen, weil jetzt Katholizismus jetzt nicht gerade auf dem aufsteigenden Ast ist, würde ich zumindest mal sagen. Bei wirtschaftlicher Begründung könnte ich mir eher vorstellen, dass das auch junge Leute anzieht. Worin finden sich denn jetzt gerade junge Leute? Man sagt ja gerade von jungen Männern, dass sie eher rechter wären. Die AfD wird auch von jungen Menschen gewählt. Worin finden die sich wieder?

 

Andreas Kemper:

Ja, generell profitieren Männer vom Antifeminismus, vom Partriarchat. Also ob die wirklich glücklicher sind, ist eine andere Frage, aber sie profitieren einfach durch alle möglichen Privilegien, die sie dann in einem patriarchalen System haben gegenüber Frauen. Von daher ist es irgendwie logisch, dass Männer dann auch eher dazu tendieren, weil sie haben einfach mehr davon. Jetzt aktuell haben wir viele Umbrüche. Wir haben einen Umbruch im Wirtschaftssystem. Man spricht jetzt von einem Postfordismus im Wirtschaftssystem und das meint so viel wie, dass bis Mitte der 70er Jahre so ein bestimmtes Wirtschaftsmodell und Produktionsmodell vorherrschend war in der Wirtschaft, nämlich mit Fließbandarbeit, Massenproduktion, die Massenprodukten auch mit einer sehr großen Gleichheit, Arbeitersiedlungen, wo alle gleich waren, es wurde halt auf Masse produziert. Und wir haben jetzt ein anderes Wirtschaftssystem, was sehr viel flexibler ist, wo man ständig neu lernen muss, wo auch gar nicht garantiert ist, dass man so lange im gleichen Betrieb ist. Man muss ständig umdenken. Bildung wird immer wichtiger, es wird viel outgesourct. Es gibt auch nicht mehr diese klassischen Arbeitersiedlungen, sondern das ist auch alles flexibilisiert und individualisiert worden. Und da sind schon viele Männer nicht mitgekommen. Es gibt ein Buch von Susan Faludi – auf Deutsch heißt das „Männer: das betrogene Geschlecht“.

Und die ist damals in den 90er Jahren schon in den sogenannten Rostgürtel der Vereinigten Staaten gegangen, dort wo die ganze Industrie abgebaut wurde, wo es eine hohe Arbeitslosigkeit gab. Und sie hat gesagt, die jungen Arbeiter haben von ihren Vätern die Männlichkeit erlernt ihrer Vater, und sie kommen in dem neuen System mit dieser Männlichkeit gar nicht mehr klar. Sie werden gar nicht abgeholt. Das war so eine Männlichkeit, okay, mit Ernährermodell, ich muss genug verdienen. Ich brauche einen Job, wo ich dann Wo ich dann in der Fabrik arbeite und mehr will ich … Also das mache ich dann mein Leben lang und dann habe ich eine Familie, die kann ich ernähren und so weiter. Und so funktioniert das heute nicht mehr. Die haben aber diese Männlichkeit gelernt, kommen damit nicht mehr so klar, werden aber auch wenig angesprochen. Das heißt, die werden auch von den Grünen heutzutage nicht wirklich angesprochen. Ähnliches gibt es auch hier in Deutschland. Das heißt, das ganze Wirtschaftssystem hat sich gewandelt und da gibt es Leute, die da nicht mitkommen. Dann kommt aber noch mal hinzu, dass wir jetzt Klimawandel haben. Und der Klimawandel erfordert einfach auch ein Umdenken, eine Änderung der Lebensweise. Und da sind auch Männer vor allen Dingen nicht bereit, von ihrer Existenzweise abzulassen, die noch stärker als die weibliche Lebensweise auf Energie setzt. Ich denke, Männlichkeit wird oft mit einem Selbstverständnis von Männern, mit Wirksamkeit, mit Machen, mit Tun, mit Aktivität und viel Ausstoß von Energie und was weiß ich aber auch dann viel Input von Energie in dieser Existenzweise so konstruiert quasi und das ist sehr viel energielastiger. Also Männer verbrauchen da mehr Energie als Frauen und… dicke Autos fahren, viel Fleisch essen. Und da sind, weil das eben eine Existenzweise ist, denken diese Männer, wenn sie das nicht mehr dürfen, ist sie ihre Existenz gefährdet. Das ist wirklich was Schlimmes dann für sie, also nicht einfach so: „Okay, dann esse ich heute eben keine Wurst mehr. Dann ernähre ich mich jetzt mit Salat.“ Für viele Männer ist einfach, da ist die Existenz quasi bedroht. Vermeidlich! Ist sie ja nicht wirklich, aber vermeidlich. Und die würden dann eher rechts wählen, als auf ihre Currywurst zu verzichten. Ich nenne das fossile Männlichkeit. Und das erklärt das auch noch mal, warum noch mal stärker jetzt Männer eher zu rechten Partei tendieren, als Frauen. Es gibt ja eine Untersuchung, wo dann junge Frauen eher liberal wählen, in Anführungszeichen, und junge Männer eher konservativ.

 

Natascha Heinisch:

Hätte man an irgendeiner Stelle die jungen Männer besser mitnehmen müssen oder wie könnte man sie jetzt besser mitnehmen, um dem entgegen zu wirken? Oder ist das ein Automatismus, der jetzt erst mal so sich Bahn brechen wird?

 

Andreas Kemper:

Ja, ich denke, das hängt viel auch an Sorgen, an Zukunftssorgen. Also wenn man sich anschaut, wo ist die AfD besonders stark? Dann ist sie dort besonders stark, wo die Stadtviertel oder Landkreise nicht so gut abschneiden in der Zukunftsprognosen. Also wo wenig Hoffnung ist, da ist die AfD besonders stark. Also nicht einfach nur da, wo viel Armut ist. Das ist… da gibt es auch eine Korrelation, also einen Zusammenhang zwischen ärmeren Vierteln und die Bereitschaft, die AfD zu wählen. Aber noch stärker ist die, denke ich, dort, wo wenig Aufbruchstimmung ist oder wo wenig Möglichkeiten gesehen werden. Ich glaube, das ist ganz stark das Ding, dass viele sich halt, dass sie nicht sehen, wie es weitergehen kann. Und da wird dann die AfD gewählt, weil da gedacht wird, okay, das ist die einzigen, die jetzt da noch irgendwie was machen können, die uns da rausboxen oder die Möglichkeiten schaffen. Und deswegen denke ich, es müsste sehr viel mehr an Perspektive geboten werden, also für alle. Also jetzt nicht unbedingt für die reichen Erben. Ich glaube, die haben Perspektiven genug, aber gerade im ganzen Sozialsystem, da müsste sehr viel mehr getan werden. Es gibt da den Vorschlag, ein Erbe für alle, für 25-Jährige, die dann halt, was weiß ich, 100.000 Euro als 25-Jährige bekommen. Dann gäbe es eine Perspektive, wenn das noch gekoppelt wäre mit ein Bildungssystem…

 

Natascha Heinisch:

Wo kämen denn die her, die 100.000? In der Idee, woher würde man die 100.000 kriegen?

 

Andreas Kemper:

Also das ist eine Idee von Thomas Piketty aus Frankreich, das ist ein Vermögensforscher, der sagt, wir haben das Geld. Der sagt, wir haben… auch die Industrieländer, auch Deutschland wird ja immer reicher. Nur das Problem ist, dass sich das Vermögen immer stärker bei den Superreichen abbildet, aber immer weniger bei den Armen. Die Ärmeren in Deutschland haben eine geringere Kaufkraft als in den 90er Jahren, während die Superreichen so reich waren wie noch nie zuvor. Also im Schnitt erbt jeder Mensch in Deutschland in seinem Leben – im Schnitt jetzt – 400.000 Euro. Und das ist natürlich der Osten überhaupt nicht. Ist klar, da ist nicht so viel angesammelt worden. Im Westen geht es dann auch ganz stark auseinander. Da erben dann einige richtig viel und der Schnitt erbt viel weniger. Also die Hälfte der Bevölkerung erbt viel weniger als diese 400.000. Also 100.000 wären theoretisch auf jeden Fall drin, einfach durch eine Besteuerung der Erbschaft.

 

Natascha Heinisch:

Es wird ja auch viel darüber geredet, dass die AfD von Menschen gewählt wird, die dann von den eigentlichen Zielen der AfD gar nicht so sehr profitieren würden. Also die Hoffnung, die werden das irgendwie anders machen, aber wenn sie es dann machen würden, dann käme das nicht denjenigen zugute, die aus dieser Motivation heraus gewählt haben. Kannst du dann einen Überblick geben, inwieweit das eigentlich auseinander driftet: das, was die Menschen sich wünschen und das, was die AfD aber eigentlich ihnen dann bieten würde?

 

Andreas Kemper:

Ja, klar. Das ist halt so, dass die AfD, wenn man sich zum Beispiel in Hessen anschaut, in Hessen waren die letzten Landtagswahlen zusammen in Bayern und in Hessen haben 40% der Menschen, die sich als Arbeiterinnen sehen, die die AfD gewählt. In Hessen, also jetzt nicht in Thüringen oder in Sachsen oder so, sondern im westlichen Bundesland. Wenn man dann nur den männlichen Arbeiter nehmen würde, wäre das eine absolute Mehrheit für die. Aber die AfD ist von dem Programm her neoliberaler als die FDP oder die CDU. Die wollen noch stärker die Steuern für die Reichen abschaffen und noch stärker in der Sozialhilfe einschneidende Maßnahmen, die auch von der Wählerschaft auch interessant ist übrigens, dass die einzigen Anhänger einer Partei, die sagen, dass das Bürgergeld eher zu hoch als zu niedrig ist, das sind die Wähler der AfD und das widerspricht sich. Und wenn man sich anschaut, was machen rechte Parteien eigentlich? Als die FPÖ in Österreich an die Macht kam, wurde eine 60-Stunden-Woche eingeführt. Als die Rechten in Italien jetzt vor kurz mit Meloni an die Macht kamen, wurde das Bürgergeld komplett abgeschafft. Das heißt, das ist ganz klar, die bekämpfen auch ganz klar den Sozialstaat.

Und auch Maximilian Krah, der der Spitzenkandidat für die AfD bei den Europawahlen ist, der auch ganz krass antifeministisch auftritt, also wirklich noch mal heftiger als das, was ich sonst immer gehört habe in der AfD, der schreibt in seinem Buch auch eine wichtige Möglichkeit oder eine gute Möglichkeit, Ausländer aus Deutschland rauszukriegen oder Migranten rauszukriegen, ist, dass wir den Sozialstaat abschaffen. Das heißt, es geht immer gegen den Sozialstaat.

 

Natascha Heinisch

Wenn ich jetzt, was ich in meinem täglichen Leben nicht habe, jetzt niemanden wie dich habe, der das einer Person, die solche Annahmen hat, so gut erklären würde, wie du es jetzt hier erklärt hast, was würdest du sagen, wie kann ich in meinem Alltag gegen rechte Strömungen angehen in der Alltäglichkeit? Was kann ich als Einzelne, was kann jeder, jeder Einzelne im Kleinen machen?

 

Andreas Kemper:

Ja, also was ich gut fand, waren diese großen Demos. Die haben wirklich auf was bewirkt, meiner Meinung nach. Die AfD ist ja von 23% auf 17% zurückgegangen. Tendenz immer noch fallend. Die verlieren gerade wirklich. Ich glaube, das hängt sehr stark damit zusammen, dass jetzt viele Leute aufgestanden sind und sie es zusammengeschlossen haben, gesagt haben: „Uns reicht das jetzt. Und das bleibt ja dann nicht bei einer Demo, sondern man redet darüber und kommt ins Gespräch. Und ich glaube, davon lassen sich dann auch Leute, die so eher dann Protestwähler sind, dann auch beeindrucken, die dann sagen: „Okay, das scheint ja wirklich eine krasse Partei zu sein, wenn so viel auf die Straße gehen. Ansonsten ist informieren sehr wichtig, was sich halt schlau zu machen. Und wichtig noch mal, die AfD oder die Rechten wollen ja bestimmte soziale Errungenschaften zurückdrängen, vor allen Dingen auch Feminismus, feministische oder queere, queer feministische Positionen. Und da ist es dann wichtig, einfach da weiterzumachen. Das ist dann halt einfach gegenhalten und jetzt erst recht. Das finde ich dann wichtig.

 

Natascha Heinisch:

Wo kann ich denn ansetzen? Gut, du hast es jetzt eigentlich schon gesagt. Ich habe gerade gedacht, es gibt ja oft so das Argument: „Ja, dann darf ich ja jetzt gar nichts mehr sagen, oder wenn ich das und das sage, dann bin ich direkt gecancelt. Also Leute, wo man den Eindruck hat, das ist vielleicht eher eine pauschale Abwehr, weil man denkt: „Das ist mir zu kompliziert. Bevor ich da jetzt einsteige, finde ich das lieber im Ganzen blöd. Wie ich solche Leute, wo vielleicht eine Bereitschaft auch da wäre, wie ich die vielleicht besser mitnehmen kann.

 

Andreas Kemper:

Also es gibt jetzt gerade eine Studie auch zu den Leuten, die jetzt auf diese Demos gegangen sind. Die sind eher sehr gebildet und kommen eher aus der Mittelschicht und oberer Mittelschicht. Da sehe ich eine Gefahr, dass sehr schnell auch gegenüber antifeministischen Positionen oder rechten Positionen dann auch mit so einem Vorbehalt vorgegangen wird, die sind dumm oder die sind … Also, dass es auf einer sprachlichen Ebene stattfindet. Das finde ich halt problematisch. Jedes Wort würde nicht so sehr die einzelnen Wörter auf die Waagschale legen, weil viele sind auch abgeschnitten vom akademischen Milieu. Die wissen gar nicht, dass man bestimmte Wörter nicht sagt. In so einem akademischen Milieu ist es dann klar, aber die wissen das nicht und werden eh schon immer auch damit getriezt, dass sie die falsche Sprache sprechen oder nicht richtig sprechen. Das ist ja auch wird da oft gegen Ärmere eingewandt. Da wäre ich dann vielleicht toleranter und würde gucken, was steckt wirklich dahinter? Was ist eigentlich wirklich gemeint? Und ich glaube, ganz oft geht es dann auch existenzielle Fragen, wie: „Ich habe Angst, meine Wohnung zu verlieren“, oder „Ich kriege keine Arbeit Arbeitsplatz.“ Und da müsste dann halt nicht gesagt werden: „Das ist ja dein Problem, sondern: „Das ist ja dann ein ernstes Problem.

Und da müsste dann auch geguckt werden: Wie kann man das hinkriegen? Genau, und dann sind wir wieder bei der Sozialpolitik. Dann sind wir wieder bei Fragen: Wie kann man eine soziale Gesellschaft herstellen.

 

Natascha Heinisch:

Würdest du sagen, es gibt so was wie einen verlorenen Fall? Oder bis zu welchem Punkt würdest du sagen, es lohnt es sich, sich zu engagieren? Und wann beginnt es, dass man sagt, derjenige ist so abgedriftet, dass ich mich verausgabe, dagegen zu argumentieren, aber das ist so ein bisschen Hopfen und Malz verloren, frage ich jetzt einfach, weil man hat ja oft so Fälle, dass man im Alltag mit rassistischen, xenophoben, antifeministischen Äußerungen einfach erst mal in Kontakt kommt. Gehe ich dann jedes Mal voll rein in jeder Situation? Oder suche ich mir vielleicht das aus, wann lohnt es sich und wann gebe ich auf? Das ist eine sehr globale Frage, aber es ist was, was wirklich – zum Glück nicht täglich – die aber doch relativ oft passiert, wo ich mich dann denke: „Okay, wie viel engagiere ich mich da jetzt rein und wann nehme ich mich wieder raus?“

 

Andreas Kemper:

Ja, das ist ja ein Gespräch. Es sind ja immer mindestens zwei Personen, vielleicht sogar noch mehr. Und schwierig ist es dann, wenn man als Einzelperson einer ganzen Gruppe gegenübersteht. Das sollte man vermeiden. Das ist schwierig. Ja, umgekehrt macht es schon mehr Sinn. Es geht auch gar nicht darum, jetzt Mann gegen Mann oder so zu kämpfen, wer ist der Stärkere oder Frau gegen Frau, sondern es geht einfach nur das Setting. Das Setting wäre schon mal wichtig. Zu gucken, haben wir da Zeit zu reden, dann auch sich selber zu hinterfragen: Wer bin ich eigentlich? Bin ich jetzt hier jemand, eine Person, die wirklich sehr gut, sehr situiert ist, keine Sorgen haben muss, wo ein dickes Erbe vielleicht wartet und man vielleicht männlich noch ist und weiß und hetero und einfach komplett privilegiert? Das sollte auch immer hinterfragt werden: In welcher Situation bin ich im Vergleich zu der Person gegenüber? Umgekehrt aber auch. Vielleicht ist es auch einfach eine krasse Machtposition mir gegenüber. Und dann würde ich halt gucken: Wo ist meine Verletzlichkeit? Ich muss mich von niemandem beleidigen lassen. Das ist auch noch mal wichtig, dass ich dann einfach gucke: Ich habe selber auch eine Verletzlichkeit und ich muss jetzt nicht mich beleidigen lassen. Und das passiert leider sehr schnell, dass es sehr schnell zu Beleidigungen kommt und sehr schnell wütend wird.

Ja, ansonsten, wenn es halt wirklich Bekannte sind, die man vielleicht mag oder mit denen man auch eine Geschichte hat, würde ich halt sagen, am Ball bleiben und gucken und dann gucken, was steckt eigentlich dahinter.

 

Natascha Heinisch:

Inwieweit hast du Optimismus, wenn du in die Zukunft ziehst? Du hast ja vorhin am Anfang schon gesagt, dass es trotzdem aber auch noch Weiterentwicklungen in Richtung des Feminismus gibt, nicht nur Antifeminismus, sondern auch, dass der Feminismus weiter fortschreitet. Wie blickst du in die Zukunft? In deinem Wirken bist du ja bestimmt dauernd und ständig mit nicht so schönen Dingen konfrontiert oder Reaktionen auch auf dich wahrscheinlich.

 

Andreas Kemper:

Ja, klar. Ich hätte da sehr oft angegriffen, aber das ist alles Internet, nicht in meinem persönlichen Umfeld. Das kann ich abschalten. Das muss ich mir ja nicht antun. Ich denke, wir wissen nicht, was kommt. Es gibt ja diesen Satz nur mutig, gestritten, the future is unwritten. Wir wissen nicht, was kommt. Und ich war jetzt zum Beispiel total überrascht von diesen Großdemos, wo ich überhaupt nicht mit gerechnet habe. Also ich hatte da geheult, als ich diese großen Demo-Demotivationen gesehen habe und das hörte gar nicht auf und das war eine plötzliche Überraschung. Das war richtig gut. Und so was kann eben auch passieren. Es passiert richtig viel Blödes, aber es nützt ja nichts. Wir müssen ja weitermachen. Und da habe ich versucht, mir klarzumachen, wie ging es eigentlich den Menschen damals, die emigrieren mussten aus dem Faschismus, die auch weitergemacht haben. Mein Lieblingsphilosoph Ernst Bloch hat damals dieses Buch geschrieben, „Das Prinzip Hoffnung“, als seine Verwandten oder die Verwandten seiner Frau alle ins KZ kamen. Er war emigriert und jüdischer Hintergrund. Hat dann dieses Buch geschrieben, „Das Prinzip Hoffnung“, in der dunkelsten Zeit überhaupt eigentlich. Und was mir da Hoffnung macht, sind auch diese vielen Demonstrationen von Fridays For Future, die auch sehr stark von jungen Frauen getragen werden. Da hoffe ich einfach auf mehr Vernunft bei den Leuten und dass sich diese Bewegung vielleicht auch zusammenschließt mit einer Bewegung, wo es auch eine gerechtere Gesellschaft geht im Sinne von Umverteilung, mit einer feministischen, queerfeministischen Bewegung und noch mit einem antifaschistischen Impuls. Es kann ja sein, dass es passiert, dass es wirklich eine große Bewegung wird und dass es so meine Hoffnung und von daher denke ich, so Optimismus mit Trauerflor, würde Ernst Bloch sagen.

 

Natascha Heinisch:

Aus deinem riesigen Wissen: Hast du einen Tipp für unsere Zuhörer und Zuhörerinnen? Gerne eine weiblich gelesene Person, muss jetzt nicht aus seiner Arbeit sein, könnte auch aus Kunst, Kultur, aber jemand, wo du sagst, mit der sollte man sich mal näher beschäftigen? Die Person ist zu unbekannt? Aber kann auch eine bekannte Person, einfach eine Person weiblich gelesene, die du gerne ins Spotlight rücken wollen würdest.

 

Andreas Kemper:

Ja, also Cara New Daggett. Die hat so einen ganz kleinen Essay geschrieben. „Petromaskulinität“ ist das ins Deutsche übersetzt worden. Sind wirklich nur 50 Seiten, kostet auch noch 10 Euro. Und hat da auch nicht wirklich Lösungen anzubieten, denke ich, aber sie spricht sehr viele Themen an. Sie ist Energiehistorikerin. Alleine das ist schon ein spannendes Forschungsfeld. Begriff auch jetzt. Spannendes Forschungsfeld. Energiehistorikerin. Das ist Energie, dass Energie auch eine Geschichte hat. Und da geht es genau um diese Fragen von dieser sogenannten fossilen Männlichkeit. Und sie hat da ganz viele verschiedene Gedanken dazu, die sie dann so zusammenbringt. Und ich glaube, das ist sehr anregend, dieses kleine Büchlein zu lesen und dort dann in die eine oder andere Richtung weiterzudenken. Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt, diese fossile Männlichkeit, diese Petromaskulinität, wie sie schreibt, also von Petrolium, von Erdöl. Das würde ich halt empfehlen.

 

Natascha Heinisch:

Jetzt kommen wir von deinem kleinen Büchlein zu einer Frage, die sich bei mir nach dieser heutigen Folge auch sehr, sehr klein anfühlt.

Unsere Abschlussfrage, die wir in jeder Folge stellen, nämlich speziell zum Thema equal pay. Was bringt dich aktuell zum Fauchen und was bringt dich zum Schnurren beim Thema equal pay?

 

 
 
Andreas Kemper:

… zum Fauchen. Ja, die Wahlerfolge von Milei und Trump macht mir total Sorgen. Also diese ganze Entwicklung. Oder auch die Dreistigkeit, die Dreistigkeit, mit der zum Beispiel Maximilian Krah so ein Frauenbild von sich gibt, was zum letzten Mal Adolf Hitler in seiner Rede vor der NS-Freundschaft 1934 gehalten hat, wo er sagte, die Aufgabe der Frau ist die Mutterschaft. Das macht mich wirklich ziemlich wütend, also wirklich das wieder aus der Schublade zu holen. Ja, und hatte ich auch gerade schon gesagt, was ich gut finde, ist eben diese großen Demonstrationen. Also vor diesen Demonstrationen, die wir jetzt hatten, eben auch diese großen Demonstrationen zum Klimastreik und so weiter. Gut, das ist jetzt nicht direkt Equal Pay Day, aber es sind halt viele jüngere Feministinnen. Ich glaube, das haben die auch auf dem Schirm und dass sich dort viel bewegt, das finde ich gut.

 

Natascha Heinisch:

Gibt es noch irgendwas, was du unbedingt gerne in diese Folge noch mit reinpacken wollen würdest, worüber wir noch nicht gesprochen haben, aber was du gerne noch loswerden wollen würdest?

 

Andreas Kemper:

Nein, ich glaube, das ist okay.

 

Natascha Heinisch:

Alles klar, dann danke ich dir sehr, sehr, sehr herzlich, dass du heute hier warst. Für alle, die zugehört haben, wenn ihr Fragen zur heutigen Folge habt, dann könnt ihr die uns wie immer gerne stellen unter info@equalpayday.de. De und uns wie immer auch sehr gerne folgen auf Social Media, wo wir unterwegs sind unter dem Hashtag #epd. Dann sage ich vielen Dank, Andreas, dass du heute hier warst. Ich habe sehr viel gelernt. Es ist ein bedrückendes Thema, aber es ist ein wichtiges Thema. Ich danke dir und sage euch allen da draußen Tschüss.

 

Andreas Kemper:

Ich sag auch Tschüss. Ciao.

 

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